Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Trutzburg ihres Computerzimmers zurückgezogen und im Internet Trost gesucht, wo sie mit den Fingerspitzen schaltete und waltete, wie sie wollte.
«Ich hab noch ein paar Gesichter, die Sie sich ansehen können», sagte sie.
«Gesichter?» Für einen Moment hatte Enzo keine Ahnung, wovon sie sprach.
«Ihr falscher Doktor.»
«Ach so, ja.» Er war sich nicht sicher, inwieweit das überhaupt noch wichtig war.
«Ich hab eine richtig gute Website aufgetan. Ein Verzeichnis namens Bellefaye. Da sind sämtliche Autoren, Techniker, Regisseure und Schauspieler aufgelistet, die in der französischen Film- und Fernsehindustrie arbeiten.»
Sie huschte mit flinken Fingern über die Tastatur und rief das genannte Verzeichnis auf.
«Für einen Produzenten oder Regisseur, der für eine Rolle jemanden mit einem ganz bestimmten Aussehen sucht, ist das phantastisch.» Eine Reihe bunter Kästchen am oberen Bildrand erlaubte die Auswahl verschiedener Kategorien wie Schauspieler, Agenten, Techniker, Filmschulen, Firmen . Nicole klickte auf Schauspieler . Es erschien ein Untermenü mit weiteren Kästchen: Geschlecht, Typ, Sprache, Alter, Größe, Gewicht, Augenfarbe, Haar. «Es ist einfach. Man geht hintereinander diese Kriterien durch und macht seine Angaben.» Sie ging zu Geschlecht und wählte Männlich . Das Kriterium Typ bot neun Möglichkeiten, von Afrikanisch über Nordisch und Asiatisch bis zu Indianisch ; hier wählte sie Europäisch . Sie sah zu Enzo auf. «Ich habe einfach Ihre Beschreibung zugrunde gelegt. Haar- und Augenfarbe, Größe, Gewicht. Die Webpage brachte eine Liste mit sechsundfünfzig Schauspielern, die diesen Kriterien entsprechen.»
Sie glitt mit der Maus über das Pad und griff auf eine Seite zu, für die sie ein Lesezeichen gesetzt hatte. Es war die Liste, die das Verzeichnis Bellefaye geliefert hatte. Sie scrollte sie herunter.
«Wie Sie sehen, sind nicht bei allen Fotos dabei, aber immerhin bei einundzwanzig. Die habe ich alle in einem Ordner auf der Festplatte gesichert, damit Sie einen Blick drauf werfen können.»
Sie öffnete den Ordner, wählte die Fotos im JPG-Format aus und ließ sie als Slideshow im Vollbildmodus anzeigen. Fotos von Männern um Ende dreißig, Anfang vierzig, mit kurzem, dunklem, grau meliertem Haar und Kameralächeln gingen ineinander über – eine scheinbar endlose Folge unbekannter Gesichter. Enzo starrte auf den Bildschirm, ohne wirklich hinzusehen, da ihm immer noch die Auseinandersetzung mit Kirsty durch den Kopf ging. Außerdem konnte er das Bild von Raffin in seinem Bett auf der Intensivstation nicht abschütteln, wo Schläuche und Kabel von seinem schwerverletzten Körper zu Maschinen führten, die piepsten und blinkten und ihn literweise mit Blut und Flüssigkeit versorgten, die er verloren hatte. Sein Gesicht war unnatürlich bleich gewesen. Unwirklich geradezu. Wie eine Totenmaske über lebendigen Zügen. Und Enzo brauchte nicht erst von Kirsty zu hören, dass er die Verantwortung dafür trug.
Plötzlich sah ihn ein Mann vom Monitor an, den er kannte. «Halt!» Nicole hielt die Slideshow an, und Enzo starrte in das Gesicht des Mannes, der ihm gesagt hatte, er werde bald sterben. Wie konnte er je den vermeintlich aufrichtig mitfühlenden Blick in diesen kalten blauen Augen vergessen? Nur dass sie jetzt in der Hoffnung, ein Produzent oder Regisseur könnte ihm eine Hauptrolle geben, freundlich lächelten. Vielleicht hätte er die ja auch verdient. In der Rolle gegenüber Enzo hatte er jedenfalls überzeugt. «Wer ist das?»
Nicole schaltete wieder zur Bellefaye-Liste zurück und klickte den Namen Philippe Ransou an. Es erschien sein Lebenslauf. Sie überflog ihn. «Frankokanadier. Spricht auch Englisch. Scheint keinen Mangel an Engagements zu haben, meistens allerdings kleine Rollen in Actionfilmen und Fernsehdramen. Militärs oder Gangster. Manchmal übernimmt er auch die Stunts zu seinen Rollen. Als Arzt scheint ihn allerdings noch niemand gecastet zu haben.»
«Bis Bright auf die Idee verfallen ist. Ich wüsste zu gern, wie er auf ihn gekommen ist.»
«Ist er es wirklich?»
«Ja.»
Sie strahlte zufrieden. «Ich hab Ihnen ja gesagt, dass ich ihn finde. Was soll ich jetzt mit der Information machen?»
«Fertigen Sie ein paar Ausdrucke von dem Foto, dem Lebenslauf und seinem Agenten an, von allem, was Sie über ihn haben. Die schicken wir an die Polizeichefin in Cahors und an Monsieur Martinot in Paris.» So oder so sollte Philippe Ransou jetzt dafür zahlen,
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