Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
unbedingt hübsch, aber apart. Sie hatte dunkle, fast schwarze Augen und einen ungewöhnlich kleinen Mund mit vollen Lippen. Bis sie lächelte, breit und über das ganze Gesicht.
Ihr langes, seidiges braunes Haar war aus dem Gesicht gekämmt und am Hinterkopf lose und ohne große Sorgfalt aufgesteckt. Eine Frau jenseits ihrer jugendlichen Blüte. Enzo schätzte sie auf ungefähr vierzig. Sie war groß, sportlich schlank und kleidete sich jünger. Eine kurze schwarze Lederjacke, Jeans und Sneakers keine Spur von Make-up, für eine Frau in ihrem Alter eher ungewöhnlich. Entweder war sie außergewöhnlich selbstbewusst, oder es interessierte sie einfach nicht.
Ihre Haut war gebräunt, als hätte sie gerade erst Zeit in der Sonne verbracht; sie hatte kräftige, doch elegante Hände, mit unlackierten, kurzgeschnittenen Fingernägeln.
«Vielleicht warte ich ja genau darauf», sagte er.
«Wozu soll das gut sein?»
«Wenn ich ihn trinke, bleibt es nicht bei dem einen.»
Einen Moment lang erwiderte er ihren Blick, dann wandte er sich erneut seinem Glas zu. Er griff nach dem Wasserkrug, goss sich ein wenig davon ein, um das Aroma freizusetzen, das dem Whisky eingebrannt war, und nahm einen Schluck. Langsam ließ er die Flüssigkeit die Kehle herunterrieseln. Der Duft stieg ihm in die Nase, das Feuer wärmte ihm die Brust. Es fühlte sich gut an, doch für den Trost, den er suchte, brauchte er einiges mehr.
«Wissen Sie, es ist schon komisch …»
Er sah auf und war erstaunt, dass sie ihn immer noch beobachtete. Dabei hatte er sie schon fast wieder vergessen. «Was?»
«Es kommt nicht oft vor, dass ich mich allein in einer Bar wiederfinde und nicht von irgendeinem Mann bedrängt werde.»
«Dann sollten Sie die Zeit genießen. Es könnte jeden Moment ein Kerl hier hereinspazieren und versuchen, Sie anzubaggern.»
Sie zuckte resigniert die Achseln. Offenbar hegte Enzo keine solche Absicht. «Vielleicht komme ich ja allmählich in ein Alter, in dem mich die Männer einfach übersehen.»
Enzo rang sich ein Lächeln ab. «Dann müssten sie schon ziemlich blind sein.» Er trank noch einen Schluck Whisky. «Nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an mir.»
Sie zog eine Braue hoch. «Schwul?»
Worüber er zu seinem eigenen Staunen lachen musste. «Nein. Es ist nur … Mir steht im Moment nicht der Sinn danach.»
«Geteiltes Leid ist halbes Leid.»
«Zwei Schwalben machen auch noch keinen Sommer.»
Für einen Moment furchte sie die Stirn, dann begriff sie das Spielchen und schmunzelte. «Vier Augen sehen mehr als zwei.»
«Leere Fässer klingen hohl.»
«Zwei Dumme, ein Gedanke.»
Enzos Lächeln verkrampfte. Das Spiel lenkte ihn nicht mehr ab, es erschien ihm plötzlich eher kindisch und läppisch. Schließlich war er hergekommen, um sich zu betrinken. Er leerte sein Glas und bestellte ein zweites.
Schweigend sah sie zu, wie der Barkeeper nachfüllte, dann bestellte sie für sich einen zweiten Champagner. Als der junge Mann das Glas mit der perlenden Flüssigkeit randvoll gegossen hatte, ging sie damit die Theke entlang, um sich auf den Hocker neben Enzo zu setzen. An einem anderen Tag, unter anderen Umständen hätte er vielleicht eine kleine Woge sexueller Erregung verspürt. Jetzt aber fühlte er sich bedrängt und war kurz davor, sich gegen ihre Zudringlichkeit zu wehren. Doch sie ließ ihm keine Zeit dazu.
«Wie wär’s, wenn ich Ihnen den spendiere? Und außerdem das Reden übernehme, vielleicht hilft Ihnen das ja, sich von Ihrem Kummer ein bisschen abzulenken.»
Zum zweiten Mal war er überrascht, dass ihm ein Lächeln über die Lippen huschte. «Jedes Mal dasselbe.»
«Was?»
«Jedes Mal, wenn ich in eine Bar gehe, baggert mich irgendeine Frau an.»
Diesmal war sie es, die lachte. «Dann machen wir uns wohl besser miteinander bekannt, damit ich nicht länger ‹irgendeine Frau› für Sie bin.» Sie reichte ihm die Hand. «Anna.»
Er zögerte einen Augenblick, bevor er sie schüttelte. «Enzo.» Ihr Handschlag war warm und fest. «Die Frauen lieben mich.»
Sie grinste. «Sieh mal einer an.» Sie legte den Kopf schief und musterte ihn. «Kann ich vielleicht sogar nachempfinden.» Sie stutzte. «Verschiedene Augenfarben. Höchst ungewöhnlich.»
«Waardenburg-Syndrom. Die weiße Strähne gehört auch dazu.»
«Führt das zum Tod?»
Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, doch natürlich hatte sie keine Ahnung. «Nicht das Waardenburg-Syndrom, nein.» Er trank sein Glas
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