Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
keine Verantwortung. Vielleicht war es die letzte Nacht, die er mit einer Frau verbringen würde.
Doch es war nicht der Sex, auch wenn Anna starke Instinkte in ihm weckte. Vor allem war es die menschliche Nähe. Die Berührung der Haut, die wohlige, tröstliche Wärme in der Umarmung eines anderen Menschen. Ein Moment ohne Vergangenheit und Zukunft.
Sie setzte sich rittlings auf ihn, beugte sich über ihn, sodass ihre Brüste nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt waren, während sie sein Haar aus dem Gummiband löste und auf dem Kissen ausbreitete. Dann senkte sie den Kopf und küsste ihn auf Stirn, Nase, Mund. Sanfte, zärtliche Küsse, als hätten sie sich schon ein Leben lang gekannt. Sie strich mit den Fingerspitzen durch das Haar auf seiner Brust und glitt langsam nach unten, bis sie mit den Lippen seinen Bauch liebkoste und ihm das Blut in die Lenden strömte. Er streichelte ihren Rücken, spürte die festen Muskeln, schloss seine Hände um die vollen Pobacken. Mit einem Ruck drehte er sie auf den Rücken, überraschte sie, getrieben von plötzlicher Lust. Sie stöhnte, als sie spürte, wie er seine Erektion hart an ihren Bauch drückte und gleichzeitig seine Lippen und Zunge ihren Mund fanden. Tastend suchte er die weiche, nasse Stelle zwischen ihren Beinen und streichelte sie, bis sie ihm das Becken entgegendrängte. Er rutschte ein wenig tiefer, nahm eine ihrer Brustwarzen zärtlich zwischen die Zähne und umspielte sie mit der Zunge.
Dann spürte er, wie sie ihm die Fingernägel in den Rücken bohrte, während sie keuchend flüsterte: «Ich will dich. Bitte, jetzt.»
Hinterher fühlte er sich verausgabt wie nie zuvor. Körperlich und geistig vollkommen erschöpft. Er hätte weinen können, hätte Anna am liebsten alles erzählt. Von Kirsty und Sophie und Pascale. Und von dem Todesurteil, das gestern über ihn verhängt worden war. Doch das waren Geheimnisse, die er besser für sich behielt, Geheimnisse, die er mit ins Grab nehmen würde.
Sie lag neben ihm, an seine Hüfte geschmiegt, die Hand auf seinem Bauch. Ihr warmer Atem strich über seine Schulter, und er spürte, dass auch sie bei ihm Trost fand. Auch sie hatte ihre Geheimnisse. Geschichten, über die sie schwieg. Eine tiefe Wehmut, die sich in ihren dunklen Augen zeigte, die sie aber in ihrem Innersten vergrub. Er beugte sich über sie und küsste ihre Stirn, bevor er die Augen schloss und in einen unerwartet tiefen Schlaf hinüberdriftete.
Kapitel zwölf
Wie fast immer regnete es in Strömen. Er war auf einer Beerdigung. Einer gälischen Beerdigung, so wie sie in Schottland Brauch ist, wo der Sarg auf den Rückenlehnen zweier Stühle auf der Straße steht. Er war einer der Sargträger und ganz in Schwarz gekleidet. Die Frauen sahen zu, wie der Sarg hochgehoben wurde und der lange Marsch zum Friedhof begann. Sie würden nicht folgen, denn Frauen waren am Grab nicht geduldet.
Als sie über die Hügelkuppe kamen und die Glocken läuten hörten, sahen sie die Grabsteine vor sich, dicht an dicht wie die Heugarben auf dem Machair darunter. Unwillkürlich drängten sich ihm die Zeilen von John Donne auf:
Und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt für dich.
Unablässig wie ein Mantra, das im Innersten von ihm Besitz ergriffen hatte, wiederholte er die Worte.
Inzwischen waren die Träger triefend nass, ihre Hände feucht und glitschig. Er hatte Mühe, den Sarg nicht aus den Fingern gleiten zu lassen. Immer wieder griff er nach, um seine Ecke des Sarges zu halten, doch schwer und unhandlich, wie der Kasten war, rutschte er ihm schließlich doch aus der Hand. Er rief, jemand solle ihm helfen, doch es war zu spät. Der Sarg glitt ihm von der Schulter und kippte vornüber auf den harten Boden. Es krachte, das lackierte Holz zerbrach, und der Tote wurde aus der mit Seide ausgekleideten Kiste auf den Schotterweg geschleudert – eine grotesk anmutende letzte Ruhestätte.
Enzo schauderte, als die Leiche wie im Zeitlupentempo auf ihn zurollte, ein Gesicht wie der Tod, mit weit aufgerissenen Augen und bläulich angelaufener Zunge zwischen bleichen Lippen. Plötzlich begriff er, dass er es selbst war.
Vor Schreck nach Luft schnappend erwachte er zwischen zerwühlten, verschwitzten Laken. Das Haar klebte ihm in den Augen und im Mund. Keuchend richtete er sich im Bett auf und strich sich die Strähnen aus dem Gesicht, während es in seinem Kopf laut und beharrlich hämmerte.
Durch das halbkreisförmige Fenster,
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