Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
durchgegeben. «Das ist unmöglich. Da muss ein Irrtum vorliegen.» Er kramte in seiner Brieftasche nach der Karte. «Hier ist sie, versuchen Sie es bitte noch einmal.»
«Das ändert leider nichts an der Situation. Das Hotel ist voll belegt.»
«Versuchen Sie es einfach, ja?», schnauzte Enzo, und die junge Frau zuckte zurück, beschloss jedoch, sich nicht mit ihm anzulegen. Sie schob die Karte in das Lesegerät. Er tippte die Geheimzahl ein. Nach kurzem Warten schüttelte sie mit unverhohlener Schadenfreude den Kopf. «Tut mir leid, Monsieur. Sie wird immer noch nicht akzeptiert.»
Er stieß einen Seufzer aus und reichte ihr eine andere Karte. «Versuchen Sie’s damit.» Das Mädchen reckte mürrisch das Kinn vor und begann widerstrebend das ganze Spiel von vorne. Auch die zweite Karte funktionierte nicht.
Kirsty schob dem Mädchen eine Karte hin. «Versuchen Sie’s mit einer von meinen.»
Ebenso erfolglos.
Enzo sah seine Tochter an. «Dann war an der Straßenbahnhaltestelle nicht der Automat kaputt, es lag an unseren Karten.» Frustriert hob er die Hände. «Und gleich alle auf einmal. Das kann kein Zufall sein. Genauso wenig wie die Bande im Park, die sich unser Bargeld gekrallt hat. Da verarscht uns jemand nach allen Regeln der Kunst.»
Das Mädchen hinter dem Empfangstresen sagte mit selbstgefälligem Lächeln: «Tut mir leid. Wie gesagt, wir haben kein Zimmer mehr frei. Ich muss Sie leider bitten zu gehen.»
Draußen kämpfte Kirsty gegen die Tränen an. Sie war am Ende ihrer Kräfte, und Enzo ging es nicht viel besser. Doch Tränen halfen nicht weiter. Sie öffnete ihre Handtasche und kramte nach ihrem Handy. «Ich rufe Roger an.»
So elend er sich fühlte, versetzten ihm Kirstys Worte einen Stich. Er fragte gereizt: «Wozu? Was kann Roger ausrichten? Er ist in Paris.»
«Er kann uns telefonisch mit seiner Kreditkarte ein Hotel buchen. Und vielleicht holt er uns sogar morgen früh hier ab.»
Enzo sah sie missmutig an. Raffins Hilfe in Anspruch zu nehmen kam für ihn einem Offenbarungseid gleich. Der gute alte Enzo war als Retter in der Not herbeigeeilt und auf die Nase gefallen. Doch im Moment fiel ihm keine bessere Alternative ein.
* * *
Sie saßen in einer Bar und tranken einen Kaffee, für den sie ihre letzten Münzen aus Hosen- und Handtaschen zusammengekratzt hatten. Enzo starrte mürrisch auf die Straße, beobachtete jeden Passanten auf dem Bürgersteig und fragte sich, ob irgendeiner von ihnen der Unbekannte war, der alles daransetzte, ihr Leben auseinanderzunehmen. Er versuchte wegzuhören, als Kirsty Raffin ihre missliche Lage beschrieb. Es bedurfte keiner allzu großen Phantasie, um sich auszumalen, wie der junge Pariser Journalist ihm die Situation in die Schuhe schieben würde. Enzo hatte das blasierte Gesicht von Kirstys Freund nur allzu lebhaft vor Augen.
Dann warteten sie fast eine halbe Stunde, bevor Raffin zurückrief und Bescheid gab, er hätte im Hôtel Regent in La Petite France Zimmer für sie gefunden.
* * *
Die Ill teilte sich im Zentrum von Straßburg und bildete eine Schleife um den alten Stadtkern, bevor sich ein paar Kilometer stromabwärts beide Arme wieder vereinten. Das ursprüngliche mittelalterliche Stadtzentrum mit der Kathedrale und den sechs Kirchen war somit praktisch eine Insel. Ihr östlicher Teil, geprägt von Kais, Kanälen und uralten, schmalen Gassen, war als La Petite France bekannt. Im Mittelalter hatten sich hier die Kaufleute und anderen Vertreter des aufstrebenden Bürgertums angesiedelt. Jetzt war es die bedeutendste Touristenattraktion der Stadt, und es wimmelte dort nur so vor Souvenirläden, Hotels und Restaurants.
Enzo und Kirsty bogen auf einen menschenleeren Platz ein. Am Fenster eines vegetarischen Restaurants saßen die letzten Gäste. Ein dreistöckiges, weiß getünchtes Haus mit Eichenfachwerk aus dem siebzehnten Jahrhundert wurde originalgetreu restauriert. Im Restaurant Maison des Tanneurs, das die elsässischen Spezialitäten choucroute und tarte flambée anpries, putzte das Personal gerade die Küche. Im Vorbeigehen schlug den beiden ein verführerischer Schwall warmer Luft entgegen. Über eine Drehbrücke gelangten sie über den Fluss zum Hôtel Regent, einer ehemaligen Wassermühle für die Gerbereien, die sich einst am Ufer aneinandergereiht hatten.
Als sie sich frierend und erschöpft durchs Foyer zur Rezeption schleppten, stellte Enzo mit Genugtuung fest, dass ein Zimmer fast dreihundert Euro die Nacht kostete, plus noch
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