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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter May
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aufheulen, drückte kurz auf die Hupe und fuhr los. Auf der steil ansteigenden Allee Avenue Charles de Freycinet gab er Gas.
    Nicole hielt nervös ihren Koffer fest. Wie immer war er riesig und zum Platzen voll. Nach wie vor war es Enzo ein Rätsel, was sie auf ihren Reisen alles mitnahm, doch jedes Mal war ihr Gepäck so schwer, dass sie es nicht selber heben konnte. Zu seiner Freude sah Enzo, dass sie sich diesmal einen Rollkoffer angeschafft hatte und er ihr anbieten konnte, ihn zu übernehmen, ohne einen Bandscheibenvorfall zu riskieren. «Meinen Sie, er beobachtet uns?», fragte sie leise und versuchte dabei, die Lippen nicht zu bewegen.
    «Wahrscheinlich nicht, Nicole. Aber selbst wenn, bezweifle ich, dass er von den Lippen lesen kann.»
    Er zog ihr Gepäckstück über den asphaltierten Vorplatz, und durch eine Schiebetür betraten sie die Bahnhofshalle. Es wimmelte von Passagieren, die auf die Einfahrt des Zuges aus Paris warteten. Andere holten ihre Freunde und Angehörigen ab, die aus Toulouse anreisten. Hinter einer weiteren Schiebetür stellten Enzo und Nicole sich im Reisezentrum in eine der Schlangen, bis sie an einen Schalter herangewunken wurden. Das Mädchen hinter der Glasscheibe begrüßte sie mit einem müden «Bonjour». Enzo schob ihr das Blatt mit dem Code und den Reisedetails der Buchung hin, die sie eine Stunde zuvor im Internet vorgenommen hatten.
    Das Mädchen betrachtete die beiden Gesichter, die ihr durch die Scheibe entgegenblickten. «Nur der eine Fahrschein?»
    Enzo nickte. «Nur der eine.»
    Ein Nadeldrucker ratterte los und spuckte das Billett aus. Das Mädchen schob es unter der Scheibe hindurch. «Bonne journée.»
    Sie kehrten wieder in die Bahnhofshalle zurück, wo Enzo recht auffällig den Einzelfahrschein entwertete und ihn mit einer ebenfalls unübersehbaren Geste Nicole übergab. Die Botschaft war für jeden, der zusah, eindeutig: Nur Nicole würde reisen. Enzo ließ ihren Koffer die Treppe zur Unterführung hinunterrumpeln und von dort aus wieder hinauf zum Bahnsteig, wo sie zitternd im eisigen Wind standen, der von Norden über die Eisenbahnschienen blies.
    «Ich habe Angst, Monsieur Mackay», wisperte Nicole. Ihr Blick schoss unablässig hin und her, von Gesicht zu Gesicht, um einen möglichen Mörder auszumachen, wobei sie einige ausschloss, andere nicht. «Glauben Sie wirklich, er könnte hier irgendwo sein?»
    «Keine Ahnung, Nicole. Weshalb wir kein Risiko eingehen dürfen.»
    Die Erkennungsmelodie der französischen Staatsbahn ertönte über ihnen zwischen den Stahlträgern des steilen Glasdachs, gefolgt von einer Stimme, die die Fahrgäste ermahnte, von der Bahnsteigkante zurückzutreten. Der Zug nach Paris würde jeden Moment aus Toulouse eintreffen. Enzo blickte Richtung Süden und sah die Lok in der Ferne um die Kurve kommen.
    Als der Zug schließlich ächzend und quietschend anhielt, flogen auf der gesamten Länge die Türen auf, und die aussteigenden Passagiere kämpften sich durch die Trauben derer, die darauf warteten, einzusteigen – ein Interessenkonflikt, der zu Geschiebe und Gedränge führte. Enzo ließ einigen Passagieren den Vortritt, bis er Nicoles Koffer auf Brusthöhe stemmte und zur Tür hineinschob. Er schwitzte vor Anstrengung, sodass sich um seine Augen winzige Schweißperlen bildeten, die in der Kälte sofort unangenehm abkühlten. Nicole schlang die Arme um ihn und küsste ihn auf beide Wangen. «Auf Wiedersehen, Monsieur Mackay.» Fast hätte Enzo geglaubt, ihr stünden Tränen in den Augen.
    Als sie einstieg und die Tür hinter sich zuschlug, trat er zurück, dann lief er so lange auf dem Bahnsteig die Waggons entlang, bis sie drinnen ihren Platz gefunden hatte. Sie setzte sich ans Fenster und drückte das Gesicht an die Scheibe, um besorgt zu ihm hinunterzublicken und ihm zaghaft zuzuwinken. Enzo winkte zurück, und als der Andrang vorbei war und die meisten der eingetroffenen Passagiere sich über die Treppen zur Unterführung begeben hatten, hob der Schaffner die Hand und blies scharf in seine Trillerpfeife.
    Die letzten Türen wurden zugeschlagen, dann setzte sich der Zug ruckelnd und ächzend in Bewegung. Enzo ging daneben her und winkte Nicole zu, bis der Zug so viel Fahrt gewonnen hatte, dass er nur noch im Laufschritt mitgekommen wäre. Er warf einen Blick über den Bahnsteig. Inzwischen waren nur noch vereinzelte Menschen übrig geblieben, und er packte am nächsten Waggon, der an ihm vorbeirollte, den Türgriff, rannte mit und riss

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