Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
niedergeschlagen. Es hat uns beiden gutgetan.»
«Das hat sie auch zu mir gesagt. Du dachtest, du müsstest sterben. Sie war gerade von einer Beerdigung gekommen.»
Enzo schüttelte den Kopf. «Nein. Sie hatte ihre Eltern besucht, und es hatte Spannungen gegeben.»
Kirsty sah ihn an. «Mir hat sie aber was anderes erzählt. Sie hat gesagt, sie sei gerade von der Beerdigung einer Freundin gekommen.»
Enzo zuckte die Achseln und zog einen weiteren Schluck Kaffee in Erwägung, nahm dann aber Abstand. «Vielleicht war sie auch auf einer Beerdigung, was spielt das für eine Rolle? Tatsache ist, unsere Wege haben sich gekreuzt, und darüber bin ich nicht böse.» Plötzlich sah er, wie Kirsty mit kreidebleichem Gesicht aus dem Fenster starrte. «Was hast du?»
Als er ihrem Blick folgte, sah er einen Mann draußen vor dem Fenster stehen, der die Hände um eine Zigarette gelegt hatte, um sie sich anzuzünden. Er hatte kurzgeschnittenes, blondes Haar und trug einen dunklen Crombie-Mantel. «Das ist er.» Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. «Er ist gerade aus dem Bus gestiegen.» Wäre da nicht die Scheibe zwischen ihnen gewesen, hätte sie die Hand ausstrecken und ihn berühren können.
«Bist du sicher?»
«Hundert Prozent. Den würde ich überall wiedererkennen.» Der Bus fuhr weg, der Mann drehte sich zu ihnen um und blies Rauch ans Fenster. Er blickte ihnen direkt ins Gesicht. Enzo hörte die Panik in Kirstys Stimme. «Dad, er hat uns gesehen!»
Doch in dem Moment fuhr sich der Mann mit der Hand über das zerzauste Haar, neigte den Kopf zur Seite, hob das Kinn. Und Enzo begriff, dass er sie keineswegs sah, sondern sein Spiegelbild in der Scheibe betrachtete. Als er sich vom Fenster abwandte, schnappte Kirsty hörbar nach Luft.
«Oh Gott!»
Enzo sah sie besorgt an. «Was ist?» Der Mann war dabei, die Straße zu überqueren.
«Ich glaube, das ist er doch nicht. Ich meine, er kann es nicht sein.»
«Wieso das? Gerade warst du dir absolut sicher.»
«Dem Kerl in Straßburg fehlte ein Ohrläppchen, das hab ich dir doch gesagt. Genau wie bei dem Mann im Friseurgeschäft in Cahors. Aber der hier hatte ein unversehrtes Ohr. Als er sich vom Fenster abwandte, hab ich ihn von der Seite gesehen – das Ohrläppchen war da.»
«Oh Mann!», sagte Enzo plötzlich. «Jetzt wird mir einiges klar. Komm, schnell!» Er fasste sie bei der Hand, und sie rannten aus dem Café. Sie sahen, wie der Mann im Crombie-Mantel die Treppe zum Wohnblock hochging, doch die Ampel stand für die Autos auf Grün, und sie kamen nicht über die Straße. Dann stoppte der Verkehr kurz, und Enzo zog Kirsty, begleitet von einem wüsten Hupkonzert, zwischen den Wagen hindurch auf die andere Straßenseite, sodass sie den Bürgersteig erreichten, als der Mann die Zahlen in das Zugangssystem eingab. Sie erreichten die oberste Stufe gerade, als die Tür zufiel, doch Enzo packte sie, kurz bevor sie einschnappte, und riss sie auf. Der Mann stieg unterdessen in den Fahrstuhl am anderen Ende des Flurs.
«William Bright!»
Der Mann schob die Hand zwischen die Türen, sodass sie sich nicht weiter schlossen, und trat mit einem Bein in den Flur. «Was soll das? Wer sind Sie?» Kirsty lief es vor Angst kalt den Rücken herunter, doch es war offensichtlich, dass er sie beide nicht erkannte.
«Ich bin Enzo Mackay. Ich muss mit Ihnen sprechen, Mister Bright. Über Ihre Familie. Wenn Sie sich ein paar Minuten Zeit für uns nehmen könnten.»
* * *
Brights Wohnung im vierten Stock war klein. Eine typische Junggesellenbude, unaufgeräumt und schmutzig. «Entschuldigen Sie die Unordnung. Die Putzfrau kommt erst morgen.» Er hielt ihnen die Tür auf. «Gehen Sie schon mal ins Wohnzimmer durch, ich komm gleich.»
Im Wohnzimmer stapelten sich Bücher auf dem Boden. Auf einem kleinen Klapptisch türmten sich Kartons. An der Wand hing ein riesiger Plasmafernseher, davor standen ein paar bequeme Sessel. Die Klospülung rauschte, dann hörten sie einen Wasserhahn laufen. Schließlich kam Bright herein und sah sich resigniert um. Er hatte offenbar das Bedürfnis, seine Situation zu erklären. «Die Hälfte von dem Kram hier gehört nicht mir. Hab die Wohnung jahrelang vermietet. Musste dem letzten Mieter kündigen, als mich meine werte Gattin vor die Tür gesetzt hat. Bin gerade erst wieder eingezogen.» Er merkte, wie ihn Kirsty mit seltsamem Blick anstarrte, und wandte sich an Enzo: «Also, was kann ich für Sie tun?»
«Sie haben 1992 nach einer Prügelei in
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