Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
einem Nachtclub eine neunmonatige Haftstrafe abgesessen.»
«Du liebe Güte! Was soll das? Sind Sie von der Polizei?»
«Ich bin Forensiker, Mister Bright, und ermittle in einem Mord.»
Bright schüttelte den Kopf. «Ich hab den Kerl nicht umgebracht.»
«Das weiß ich. Nur bewusstlos geschlagen.»
«Es war Notwehr. Ein verdammter Justizirrtum!»
«Dann wurden Sie zwölf Jahre später wegen des Verdachts auf Drogenhandel noch einmal festgenommen.»
«Aber nie angeklagt. Was wollen Sie eigentlich von mir, Mister?»
«Auch wenn es nicht zur Anklage kam, wurden Sie zwölf Stunden im Polizeigewahrsam festgehalten, und in dieser Zeit haben die Beamten Ihnen per Abstrich eine Speichelprobe entnommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist, aber Ihr genetischer Fingerabdruck wurde in der nationalen DNA-Datenbank gespeichert.»
«Na und?»
«Auf diese Weise haben wir Sie ausfindig gemacht. Eine DNA-Probe an einem Tatort in Frankreich ergab eine vollkommene Übereinstimmung mit dem Profil, das die britische Polizei von Ihnen hat.»
Bright sah ihn verständnislos an. «Das ist unmöglich. Ich war noch nie in Frankreich.» Dann überlegte er einen Moment. «Was für ein Tatort?»
«Der Mord, in dem ich ermittle.»
Bright lachte ihnen ins Gesicht. «Hat einen Scheißdreck mit mir zu tun! Ich hab keinen ermordet.»
«Das weiß ich. Als der Mord begangen wurde, saßen Sie hier in England ein.»
«Dann haben Sie auch unmöglich meine DNA gefunden.»
«Haben wir doch.»
Bright schüttelte den Kopf. «Kann gar nicht sein.»
Enzo holte tief Luft. «Haben Sie einen Zwilling, Mister Bright?»
«Nein.»
Enzo kam einen Moment aus dem Konzept. «Sind Sie sicher?»
«Selbstverständlich bin ich mir sicher. Würde ich ja wohl wissen, wenn ich einen Zwilling hätte, oder?» Dann verstummte er, verzog das Gesicht und fuchtelte vage mit der Hand in der Luft. «Na schön, streng genommen hatte ich vielleicht einen. Vor ewigen Zeiten. Ich meine, ich hatte einen Zwillingsbruder. Aber der ist tot. Schon seit fast vierzig Jahren.»
Enzo starrte ihn skeptisch an. «Können Sie mir das bitte erklären?»
Bright schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte langsam zum Fenster. «Himmel, ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mit Ihnen darüber reden will.» Er drückte die Stirn an die Scheibe und blickte auf die Straße unter ihm. «Ich verschwende sonst keinen Gedanken daran. Kann mich ja nicht mal mehr an ihn erinnern.» Man sah seinen Atem auf dem Glas, wo er kleine Kondensflecken bildete.
Bright schloss die Augen, und es schien, als wäre er plötzlich an einem fernen Ort. Als hätte sein Geist den Raum verlassen und nur der Körper sei geblieben. Dann schlug er die Augen wieder auf und drehte sich zu ihnen um. «Wir waren im Urlaub in Spanien. Juli 1970. Ein Ort namens Cadaqués, an der Costa Brava. Meine Eltern, meine Schwester, mein Zwillingsbruder und ich. Unsere Eltern haben uns abends im Hotelzimmer ins Bett gebracht, bevor sie zum Essen runtergingen. Das Hotel hatte einen Babysitterservice, der auf uns aufpassen sollte.» Er prustete verächtlich. «Die letzten Flaschen, diese Leute. Meine Eltern kommen eines Abends wieder zu uns hoch, finden überall Blut im Zimmer, und Rickie ist verschwunden.»
«Ihr Bruder?»
«Ja. Wir waren damals ungefähr zwanzig Monate alt. Ich und Lucy, das ist meine ältere Schwester, haben nicht das Geringste gehört. Wie sich rausstellte, war es nicht Rickies Blut. Aber sie haben ihn nie gefunden. Niemand hat je rausgekriegt, wer ihn entführt hat und warum.»
«Und wie kamen Sie darauf, er wäre tot?»
«Die Polizei. Nach etwa drei Monaten haben sie aufgegeben. Meinen Leuten gesagt, er wäre mit ziemlicher Sicherheit tot. Meine Mutter hat es natürlich nie wahrhaben wollen.» Er sah sie an und schüttelte den Kopf. «Sie ist immer noch dort. Hat es nicht fertiggebracht, wegzugehen, solange die Chance besteht, dass Rickie noch am Leben ist und vielleicht zurückkommt. Uns hat sie auch dabehalten, Luce und mich. Ich bin da aufgewachsen. Spreche Spanisch wie ein Einheimischer – hat mir ja auch mächtig viel gebracht.»
Enzo betrachtete das seltsam traurige Gesicht des Zwillings, der seinen Bruder verloren hatte, und merkte, wie sich ihm sämtliche Nackenhaare aufstellten. «Ich weiß nicht, ob das für Sie eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, Mister Bright. Aber Ihr Bruder ist nicht tot.»
William Bright sagte nichts, sondern starrte Enzo nur an, als hätte er
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