Der Moloch: Roman (German Edition)
groß.
Das Gerüst zwischen dem Haus des Glases und dem Quartierhaus auf der anderen Straßenseite war eine Art Hochstraße für die Katzen. Sie jagten in der Nacht zwischen den Hütten der Armensiedlung südlich der Allee. Dann, wenn das Tageslicht drohte, gingen sie zum Haus der Glasmacher, stiegen mit Leichtigkeit die terrassenförmigen Stockwerke hinauf und überquerten die hölzerne Himmelsbrücke zu ihren Schlafplätzen.
Weit unter ihnen blickte Bartellus, der lange nach Mitternacht nachhause kam, hoch und sah die weißen Gestalten über den Himmel gleiten. Er schnupperte. Die Pflastersteine der Blauenten-Allee kühlten rasch ab und strahlten ihre gespeicherte Wärme in die Nacht. Und sie erzählten durch die Gerüche, die sie freisetzten, ihre eigenen Geschichten. Bartellus vermutete, dass ein Fass zerbrochen war, als Doros Bierhaus eine Lieferung bekommen hatte, denn gutes Holz war in diesen Tagen schwer zu bekommen. Der Inhalt des Fasses war über die Gasse gelaufen, und die Steine fühlten sich unter seinen Stiefeln immer noch klebrig an. Außerdem lag ein schwacher Geruch nach Kräutern in der Luft. Bartellus schnüffelte erneut. Vielleicht waren es die Gerüche der Küche aus Meggys Quartierhaus, denn die Frau benutzte billige Kräuter, um den unerfreulichen Gestank des billigen Fleischs zu überdecken. Oder aber eine Hure war gerade hier vorbeigegangen. Sie rieben sich die Haut mit Kräutern ein, um den Mangel an Seife zu überdecken. Und alles überlagerte der vertraute und scharfe Geruch von Blut und Scheiße, der anzeigte, dass irgendwo in der Nähe der Gasse an diesem warmen Sommertag jemand gestorben war.
Bartellus registrierte das alles interessiert, aber ohne Ekel. Im Gegenteil, sein Magen knurrte. Er hatte zwar in den Leuchtenden Sternen einen guten, reichhaltigen Eintopf gegessen, aber das war schon viele Stunden her, und er freute sich auf ein Stück von dem Brot, das er heute Morgen gekauft hatte. Mit Käse von der Molkerei in der Grenzstraße und der Zwiebelpaste, die er bei Meggy erworben hatte. Er vermutete, dass diese Paste von der Hure hergestellt wurde, die ihren Dachboden gemietet hatte. Meggys Essen hatte sich beträchtlich verbessert, seit die junge Frau mit ihren beiden Jungen im Sommer dort eingezogen war.
Bartellus blickte zum Fenster des Dachbodens hinauf, in dem ein schwaches Licht brannte. Er fragte sich, ob sie ihrem Gewerbe in demselben Raum nachging, in dem sie mit ihren beiden Jungen wohnte. Es war nur ein flüchtiger Gedanke. Sie selbst war kaum älter als ein Kind und so dünn wie eine Klinge.
Er bog von der Allee in den schmalen Gang neben dem Haus des Glases ein und zog den großen eisernen Schlüssel heraus, mit dem er die Seitentür aufschließen konnte. Diese Tür war immer verschlossen. Sie hatten zwei Schlüssel – einen trug Bartellus immer bei sich, und der andere hing an einem Haken innen an der Tür. Wenn Bartellus ausging, verschloss er die Tür von außen. Wenn Frayling das Haus verlassen musste, nahm Emly den zweiten Schlüssel, um die Tür wieder von innen abzuschließen. Frayling musste klopfen, wenn er wieder hineinwollte. Es hatte in den letzten beiden Jahren noch keinen Tag gegeben, an dem sie alle drei zugleich das Haus verlassen hatten.
Bartellus erwartete, von mitternächtlicher Stille begrüßt zu werden, sodass er ruhig ins Bett gehen und abwarten konnte, bis sich die Gedanken an Ränke und Verschwörungen aus seinem Kopf verflüchtigt hatten. Aber er hatte kaum das Haus betreten, als ihn sowohl Emly, die die Treppe herabpolterte, als auch Frayling, der plötzlich aus seiner Werkstatt im Erdgeschoss auftauchte, förmlich überfielen.
» Jemand hat uns beobachtet«, sagte Frayling und sah Emly an, die bestätigend nickte. » Ein Soldat. Mistress Emly hat ihn gesehen. Ich glaube, er will uns etwas Böses.«
So viele Worte hatte der junge Arbeiter selten gemacht, er wirkte beinahe geschwätzig, aber die Sorge war seiner Miene deutlich anzusehen, also verbarg Bartellus seine Belustigung. Er sah Emly an, deren Gesicht ebenfalls bekümmert schien.
» Wann war das?«
» Vor vier Tagen das erste Mal und dann heute wieder«, platzte Frayling heraus. » Er hat das Haus beobachtet.« Er sah wieder Emly an, die erneut nickte.
» Ein Soldat«, flüsterte sie.
Sie sahen ihn an und warteten darauf, dass er sie beruhigte. Er schüttelte den Kopf. » Warum glaubst du, dass er das Haus beobachtet hat, Emly?«
» Weil er es getan hat«, antwortete sie.
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