Der Moloch: Roman (German Edition)
Zwitschern und Rascheln in dem üppigen, dichten Unterholz. Sie war müde und niedergeschlagen. Seit sie aus der Bergfestung entkommen war, war sie stets nach Westen gegangen, in Richtung der untergehenden Sonne. Sie hatte geglaubt, wenn sie nur lange genug gehen würde, würde sie irgendwann die Cité erreichen. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass sie sich rasch verirren würde, wenn sie sich nach Norden oder Süden wandte, obwohl sich ihr viele Wege in diese Richtung geboten hatten, denn sie hatte etliche Flüsse überquert. Aber das Terrain in der Richtung, in der sie ging, schien immer das schwierigste zu sein. Sie musste sich über steile Hügel kämpfen und auf der anderen Seite steile Abhänge hinabklettern und kämpfte dabei immer gegen den undurchdringlich scheinenden, von Wolken durchzogenen Wald. Obwohl sie genug Wasser und auch genug zu essen hatte, fühlte sie sich von Tag zu Tag schwächer. Zum ersten Mal ließ sie den Gedanken zu, dass sie vielleicht an diesem geisterhaften Ort sterben würde, wo ihr Leichnam rasch von den herumlaufenden, gleitenden und kriechenden Kreaturen aufgefressen würde, die sie die ganze Zeit sah. Als Soldat hatte sie mehr Zeit ihres Lebens auf dem Boden schlafend als in einem Bett verbracht und war daran gewöhnt, ihre Decken mit Insekten und kleinen Tieren zu teilen. Aber noch nie hatte sie eine so vielfältige und furchteinflößende Fauna wie in diesem Wald erlebt. In ihrer schon lange zurückliegenden Kindheit, vor ihrem Leben auf dem Salient mit Indaro, hatte sie auf einem Bauernhof tief im Süden der Cité gelebt. Dort hatte ihre Familie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang darum gekämpft, die dünne Erde über dem Fels dazu zu bringen, grüne Pflanzen zu nähren. Hier, dachte sie, in diesem fruchtbaren Grün könnte sie ein Samenkorn auf die Erde werfen und zusehen, wie es sofort Wurzeln schlug und sich zum Himmel reckte.
Sie hasste es, und ein Teil von ihr sehnte sich nach dem blutigen Schlachtfeld, das sie vor Monaten verlassen hatte, und auf dem die Knochen ihrer Kameraden jetzt längst sauber getrocknet sein würden.
Sie war es nicht gewohnt, allein zu sein, und doch war sie jetzt seit fast einhundert Tagen auf sich selbst gestellt. Nach ihrer Gefangennahme und Saroyans Verrat waren die fünf Gefangenen, umringt von feindlicher Kavallerie, zu den fernen östlichen Gipfeln geritten. Sie hatten Tage gebraucht, um dorthin zu gelangen, dann war die Hälfte ihrer Schwadron nach Norden abgebogen. Doon, Indaro und die anderen waren durch das Vorgebirge und über einen hohen Pass in den Bergen geführt worden und dann weiter nach Osten geritten. Sie hatten breite Flüsse überquert und eine kühle Hochebene, bevor sie in dieses Hochland und schließlich in diesen fruchtbaren Wald mit seinen reißenden Flüssen gekommen waren.
Man hatte ihnen zu essen gegeben, nicht viel, aber genug, damit sie die Kraft hatten weiterzureiten. Staker hatte das Bewusstsein verloren und war vom Pferd gefallen, als sie die Hochebene erreicht hatten. Doon hatte gefürchtet, sie würden ihn einfach zum Sterben hier zurücklassen. Aber sie hatten den Nordländer einfach über sein Pferd gelegt und waren, je einen grauen Reiter auf jeder Seite neben ihm, weitergeritten.
Die vier anderen waren am Tag voneinander getrennt worden. Nachts waren sie zu müde, um zu reden, waren einfach nur von ihren Pferden gerutscht und hatten geschlafen. Ihre schmerzenden Körper hatten nur während der Stunden der Dunkelheit Zeit, sich zu erholen. Doon bekam Schüttelfrost, sie zitterte und schwitzte abwechselnd, und es fiel ihr schwer, sich im Sattel zu halten. Indaro war besorgt in ihrer Nähe geblieben und hatte immer wieder die Wunde an ihrem Schenkel untersucht, weil sie eine Infektion befürchtete. Sie hatte Doon ihr leuchtend rotes Wams gegeben, vielleicht, damit sie warm blieb. Vielleicht aber auch nur, um sie zu trösten.
Fell hatte geschwiegen. Es gab keine Befehle, die er hätte geben können.
Dann eines Tages, als sie immer höher den Berg hinaufstiegen, wurde es dunkel, aber die Soldaten hielten nicht an. Sie ritten weiter, durch die Dunkelheit, nur vom Licht der Sterne geleitet. Schließlich sahen sie Lichter vor sich brennen, und die Hufe der Pferde vor ihnen klapperten auf Pflastersteinen. Mauern erhoben sich um sie herum. Während des Rittes hatte Doon angenommen, dass Indaro und sie zusammen eingesperrt würden, wenn sie erst einmal ihr Gefängnis erreicht hatten. Es war ihr nie in den Sinn
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