Der Moloch: Roman (German Edition)
um die Motive anderer Leute zu hinterfragen. Jetzt hatte er zu viel Angst und war zu elend, um zu überlegen, warum ein großer Krieger wie Shuskara in diese Hölle hinabsteigen und ihm helfen sollte. Er schämte sich.
» Warum tust du das, Ser?«, fragte er demütig.
» Weil ich deinem Vater ein Leben schulde.«
» Ich habe meinen Vater nie kennengelernt.«
» Doch, das hast du, Arish. Du kannst dich nur nicht an ihn erinnern.«
» Er hat mich mit vier Jahren als Geisel, als Sklave, in eine fremde Stadt geschickt. Ich versuche nicht einmal, mich an ihn zu erinnern.«
Shuskara zuckte mit den Schultern. » Das war damals so üblich, als noch so etwas wie Frieden zwischen der Cité und einigen ihrer Nachbarn herrschte. Die Vasallenkönige schickten ihre Söhne an den Hof des Kaisers, wo sie erzogen und in der Kunst des Krieges ausgebildet wurden.«
» Sie nannten uns Gäste, aber in Wirklichkeit waren wir Geiseln«, sagte Arish verbittert.
» Ja, Geiseln für das Wohlverhalten des Königs. Aber dein Vater hat rebelliert, und du bist dennoch am Leben. Wie auch die anderen. Ihr seid die Letzten. Alle eure Väter sind tot, und die meisten von ihnen fielen den Schwertern der Krieger der Cité zum Opfer. Und doch hat der Kaiser euch nicht getötet. Habt ihr sechs euch niemals gefragt, warum nicht, wenn ihr abends miteinander redet?«
» Vielleicht ist das ja der Zweck dieses Prozesses.«
Shuskara wirkte verärgert. » Unsinn, Junge! Du bist doch intelligent. Wenn der Kaiser euch hätte töten wollen, wärt ihr in einem Herzschlag tot gewesen. Er braucht keine Gründe für eine solche Entscheidung.«
» Warum dann?«
Der General beugte sich vor und stützte seine Ellbogen auf den Tisch. » Das weiß ich nicht. Der Unsterbliche vertraut sich mir nicht an. Aber ich glaube, er befindet sich in einem Konflikt. Er betrachtet dich als eine mögliche Bedrohung. Und doch sehnt er sich nach den Tagen zurück, als die Welt ihm Tribut zollte und ihre Söhne zu ihm schickte, damit er sie erzog. Er sehnt sich zurück nach der Zeit, als sein Hof das Zentrum der Kultur und des Handels für die gesamte bekannte Welt war.« Er schüttelte den Kopf. » Zu meinen Lebzeiten war das schon nicht mehr so. Ihr jedoch seid die letzten Erinnerungen an die Tage, bevor die Dunkelheit sich herabsenkte und die Cité allein gegen den Rest der Welt stand.«
» Dann sollte er uns ehrenvoll behandeln.«
» Vielleicht hat er Pläne für euch sechs.«
» Wir waren zu acht. Zwei wurden von den Hunden zerrissen. Ein toller Plan.«
Shuskara lehnte sich zurück und seufzte müde. » Vielleicht will er einfach nur euren Tod.«
» Vielleicht ist er ja wahnsinnig«, flüsterte Arish.
» Sag so etwas besser zu niemandem, Junge, nicht einmal zu deinen Freunden.«
Sie saßen eine Weile schweigend da. Shuskara ließ mehr Wasser bringen und auch etwas Wein. Er bot dem Jungen Wein an, der noch nie zuvor welchen getrunken hatte und ihn ablehnte.
» Wieso kanntest du meinen Vater?«, erkundigte sich Arish endlich.
» Ich wurde am Hof deines Vaters erzogen.«
» Dann bist du mein Landsmann?«
Der General lächelte. » Nein. Mein Vater war ein Söldner. Er stammte zwar ursprünglich aus der Cité, aber er hat auf der ganzen Welt für die gekämpft, die ihm am meisten für seine Dienste boten. Sein Name war damals bekannt, aber ich bezweifle, dass irgendjemand, der jetzt noch lebt, ihn jemals gehört hat. Er hieß Adrakian. Irgendwann kam die Zeit, als er sich an einem sicheren Ort mit Frau und Kindern zur Ruhe setzen wollte. Dein Großvater, der damals der Löwe des Ostens war, bot ihm Unterschlupf im Gegenzug für seine Dienste. Ich habe zehn Jahre lang im Palast des Löwen gelebt.«
» Was ist aus Adrakian geworden?«
Der General seufzte. » Nur wenige Söldner erreichen ein hohes Alter. Er wurde in einem Hinterhalt getötet, als er einen Seidentransport eskortierte, der für die Schlafgemächer des Palastes gedacht war. Es war ein einfacher, unbedeutender Auftrag. Und die Angreifer waren ganz gewöhnliche Räuber. Adrakian wurde von einem Knüppel an der Schläfe getroffen. Er starb ein halbes Jahr später, gelähmt und sabbernd.«
» Das ist kein rühmliches Ende für einen Soldaten«, erwiderte Arish steif. In das folgende Schweigen fragte er: » Warum schuldest du meinem Vater ein Leben?«
Wann immer er zu Maron gebracht wurde, schärfte Fell sich ein, keine Fragen über Arish zu stellen oder auch nur bei der Erwähnung des Namens zu reagieren.
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