Der Moloch: Roman (German Edition)
Ebenen, die von der Geschichte zerschmettert und zerquetscht worden waren. Es sickerte durch Spalten in altem Stein und zwang den Stein schließlich dazu zu zerfallen. Es durchdrang prähistorische Eichenpfeiler. Dann verließ es die Cité wieder durch eine Vielzahl von Tunneln und Höhlen, Sieben und Röhren, Abflüssen und Gräben und floss schließlich ins Meer.
Aber uralte Mechanismen, die vor langer Zeit von Menschen erbaut worden waren, funktionierten nicht mehr. Und viel von dem Wasser fand keinen Platz, wohin es fließen konnte. Während die tiefsten Schichten der Gebäude der Cité allmählich zusammenbrachen, stiegen die Fluten immer höher.
In den entscheidenden Jahren, als die Tore und Wehre tief unter der Cité eins nach dem anderen ihren Dienst versagten, hatten die Ingenieure des Palastes weder den Willen noch den Mut aufgebracht, etwas dagegen zu tun. Sie überließen es späteren Generationen, für die es dann jedoch bereits zu spät war. Mechanismen, die damals noch hätten repariert werden können, befanden sich jetzt bereits unter Wasser. Als die untersten Ebenen des Roten Palastes einstürzten, zeigten sich lange Risse in seinen steinernen Wänden. Des Nachts konnten die Menschen ein bedrohliches Ächzen hören, wenn das Material des Palastes durch das steigende Wasser strapaziert wurde. Wände und Decken wurden von gewaltigen Balken gestützt, aber das verschlimmerte das Problem oft nur. Denn der Druck wurde ungleichmäßig aufgebaut, und der Palast krümmte und wand sich wie ein gewaltiges Tier, das gegen eine Falle ankämpfte.
Um dieses Problem endgültig zu lösen, bauten die Ingenieure drei Dämme außerhalb der Mauern im Süden. Dort wollten sie Regen- und Schmelzwasser aus den Bergen sammeln und kontrolliert in die Stadt leiten. Etwa ein Jahrzehnt lang funktionierte dieser Plan, und der Wasserstand stabilisierte sich. Doch zwei dieser Dämme befanden sich auf Land, das an die Petrassi verloren ging. Bis jetzt hatten die neuen Herren sie zwar unversehrt gelassen, aber mehr als ein Ingenieur wurde von Albträumen davon geplagt, was geschehen würde, wenn der Feind beschloss, sie zu sprengen und ihr Wasser auf die ohnehin schon sinkende Cité losließ.
Die Halle der Wächter, in der Bartellus Indaro das erste Mal getroffen hatte, und die Stelle, in deren Nähe der Historiker Marshall Creed einen Engel in der Finsternis zu sehen geglaubt hatte, gehörten zu einem Palast, der etliche Jahrhunderte zuvor gebaut worden war. Dann hatte man ein neues Gebäude auf seinen Ruinen errichtet, und irgendwie war der alte Palast aus den Plänen der heutigen Ingenieure verschwunden. Der Eingang dazu war nur noch einigen wenigen bekannt. Die steinernen Reliefs mit den Vögeln lagen jetzt tief im schwarzen Wasser, und ihre blinden Augen beobachteten, wie die Abwässer trübe durch ein Portal schwappten, das einst zur Kanalisation führte.
Zwei Ebenen über der gefluteten Halle befand sich die Bibliothek der Stille. Sie war ebenfalls aufgegeben worden, und Tausende Bücher waren in höhere Stockwerke geschafft worden, wo es noch trocken war, andere hatte man einfach dort verrotten lassen.
Man hatte Amita aus zwei Gründen befohlen, die Bibliothek aufzusuchen. Erstens um nachzusehen, ob der Eingang der Bibliothek von Abwasserkanälen wie befürchtet unzugänglich war. Es gab nur sehr wenige bekannte Portale von der Kanalisation in den Palast, und die ständig wechselnde Geografie der Tunnel machte selbst diese Zugänge gefährlich oder unpassierbar. Falls die Halle der Wächter nicht passierbar war, musste eine andere Route gefunden werden, und zwar rasch. Also wurde Amita damit beauftragt, die Bibliothek nach Plänen der Cité zu durchforschen, die andere Portale zeigten, vielleicht welche in den überfluteten Verliesen.
Fünf Tage nachdem sie im Palast angekommen war, ging sie mitten in der Nacht in Umhang und Kapuze hinaus, um die Kanalisation aufzusuchen. Petalina hatte ihren Gönner Marcellus bis vor kurzem unterhalten, und jetzt war der Mann gegangen und Petalina schlief. Amita vermutete, dass sie einige Stunden Zeit für sich hatte. Schwaches Licht drang durch die hohen Fenster der Korridore, während sie barfuß über den steinernen Boden ging. Sie beeilte sich, denn sie wusste, dass sie weit gehen musste und viel zu erledigen hatte. Selbst in der Nacht herrschte im Palast viel Betrieb, und sie blieb mehrmals stehen und versteckte sich hinter Türen oder in Ecken. Einmal glitt sie hinter eine
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