Der Moloch: Roman (German Edition)
Männer des Palastes vorbeikommen.«
» Und?«, fragte Dol.
» Ich habe ihn schon einmal getroffen«, erklärte Sully.
Die Reiter auf ihren Pferden galoppierten durch das Arraby-Tor auf die verschneite Ebene. Der Schnee reichte den Tieren fast bis zum Sprunggelenk und war zudem in der Nacht von einer dünnen Eisschicht bedeckt worden. Die Hufe schleuderten Kaskaden von Eiskristallen in den kalten Himmel hinauf. Riis hörte die jubelnden Rufe der Männer hinter ihm, die begeistert waren, endlich die Cité verlassen zu können und wieder auf dem Pferderücken zu sitzen. Trotz des Aufruhrs in seinem Innersten besserte sich auch seine Stimmung, und er atmete tief ein. Die Luft war scharf wie eine Klinge. Der Schnee vor ihnen war jungfräulich und unberührt bis hinauf zu den fernen Kämmen der Hügel, und der Himmel über ihnen glänzte silbern.
Nachdem Riis Marcellus und den Fried verlassen hatte, hatte er zwanzig Soldaten ausgewählt und war dann zu den Stallungen der Eintausend geeilt. Zum ersten Mal hatte er seine ganze Autorität als Kommandeur aufbieten müssen, damit der Stallmeister ihm die benötigten Pferde übergab. Offenbar war dieser Mann der Einzige in der ganzen Cité, der nichts von der Ablösung der Leoparden wusste oder es vielleicht auch einfach nicht wissen wollte. Sich selbst hatte Riis einen riesigen Schimmelhengst ausgesucht, der, wie der Stallmeister schließlich verriet, Sunder hieß.
Sunder war ganz offensichtlich etliche Tage lang nicht bewegt worden, denn er tobte herum und tanzte förmlich durch den Schnee, ebenfalls begeistert von der sauberen Luft und dem weißen Funkeln ringsum. Riis ritt, seit er von der Brust seiner Mutter entwöhnt worden war. Er ließ dem gewaltigen Ross seine Freiheit, und als das Tier plötzlich in die aufgehende Sonne galoppierte, beugte er sich tief über seinen Hals und ließ es laufen. Sunder war kein junges Pferd mehr, aber er war sehr kraftvoll, und nur wenige Augenblicke später hatten sie sich bereits ein ganzes Stück vom Rest der Truppe entfernt. Riis versuchte derweil, sich einen Plan zu überlegen.
Seine Beförderung zum Kommandeur der Eintausend war ein durchaus zweischneidiges Geschenk gewesen. Es hatte seine Chancen als Meuchelmörder zwar gewaltig verbessert, aber gleichzeitig seine Rolle als Verschwörer beeinträchtigt. Er konnte kaum mehr heimlich des Nachts durch die Gänge des Palastes schleichen; dafür war er viel zu auffällig. Jedes Mitglied der Eintausend kannte sein Gesicht, und alle hassten ihn.
Also hatte es eine Weile gedauert, bis er nach dem Tod der Frauen das Risiko einging, in Petalinas Garten zurückzukehren. In einen Umhang gehüllt und mit hochgeschlagener Kapuze war er in einer hellen Mondnacht erneut über die Mauern des Palastes gestiegen. Er kannte den Wachplan der Patrouille sehr gut, wer hätte ihn besser kennen können? Innerhalb einer Stunde stand er unter dem Feigenbaum und tastete in der Dunkelheit nach einer in dem Loch in der Mauer versteckten Nachricht. Er fand zwar ein Stück Papier, konnte es jedoch in dem dunklen Garten nicht lesen. Also stieg er wieder auf die Mauer hinauf und entzifferte im Mondlicht Amitas säuberliche Handschrift. Sie beschrieb, wie er ein Paket finden könnte, das sie für ihn hinterlassen hätte. Grimmig befolgte er ihre Anweisungen und betrat die Räume auf der Rückseite von Petalinas Zimmerflucht. Er riskierte es sogar, ein Phosphorstäbchen zu entzünden und hielt es hoch. Er war von den grauen Schatten der Kleider umringt, die wie Leichen an den Wänden hängen. Die muffige Luft roch nach abgestandenem Parfüm, wie der Tod, und in dem flackernden Licht malte er sich aus, wie Amitas zierlicher Geist durch den Raum glitt, das Kleid einer toten Frau über dem Arm.
Er ging in den zweiten Raum. Wie in der Nachricht beschrieben, suchte er unter den Stapeln von Schuhbeuteln und fand eine alte Ledertasche, die dort versteckt lag. Er zog sie heraus und warf einen Blick hinein. Sie war voller gefalteter Papiere. Dankbar verließ er die Räume und trat wieder in die frische Nacht hinaus.
An diesem Tag riskierte er es, eine Botschaft durch einen des Lesens unkundigen Soldaten zu Sami in das Dickbäuchige Pony zu schicken, und ging am nächsten Morgen selbst dorthin. Er hoffte, dass Evan die Nachricht bekommen hatte und dort sein würde. Darius, seinem Adjutanten, sagte er, er wollte einen alten Freund treffen. Ihm war klar, dass sein Adjutant annahm, er hätte ein Rendezvous mit einer
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