Der Moloch: Roman (German Edition)
Leibern schirmten sie Riis und Saroyan vor den Blicken seiner Männer ab. Er spähte zwischen ihren Beinen hindurch. Der Kampf schien zu Ende zu sein.
» Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
Sie starrte ihn immer noch an, aber er konnte den Schmerz und die Erschöpfung in ihrem Blick sehen, den Ausdruck von Scheitern, den er so oft im Gesicht eines besiegten Feindes gesehen hatte. » Wer hat dir den Befehl gegeben?«, fragte sie ihn schließlich. Sie wollte es offenbar immer noch nicht glauben.
» Marcellus.«
» Dann sind wir alle verraten worden«, flüsterte sie.
Riis hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, aber er blieb bei ihr sitzen und warf verstohlen einen Blick über den Fluss. Zwei seiner Männer machten Anstalten, ihn zu überqueren.
» Leg dich hin«, sagte er schließlich. » Ruh dich aus. Ich werde sagen, dass du tot bist.« Er wusste, dass sie keine Chance hatte zu überleben, nicht mit dieser Wunde, in eisigen, nassen Kleidern und ohne einen Unterschlupf.
Gehorsam wie ein Kind ließ sie ihren Kopf in den Schnee sinken.
» Es tut mir leid«, sagte Riis. Dann stieg er wieder auf, schnappte sich die Zügel ihres Pferdes und trabte mit Sunder davon. Er blickte zurück und sah den dunklen Klumpen aus Kleidern auf dem Weiß. Es begann zu schneien.
Auf dem Rückweg spürte Riis, wie die Wut in ihm aufstieg. Wut über Amitas sinnlosen Tod, Wut über die Verschwörung, in die er so wenig Vertrauen setzte. Von der Handvoll von Verschwörern, die er kannte, waren zwei bereits tot. In fünf Tagen würde eine kleine Armee in den Palast eindringen, und seine eigenen Soldaten würden ihr Leben opfern, um sie zurückzuschlagen. Er hegte keinen Zweifel daran, dass Saroyan in einem Punkt Recht hatte – wenn jemand den Kaiser töten konnte, dann Arish. Aber Arish wusste nichts über den Palast, und was noch entscheidender war, er wusste nichts über die Macht der Vinceri. Das Gemetzel im Kleinen Opernhaus verfolgte ihn noch im Schlaf. Waren sie dafür verantwortlich gewesen, dass all diese Menschen so … zerfetzt wurden? Selbst Marcellus’ eigene Geliebte? Jedes Mal, wenn Riis darüber nachdachte, kam es ihm wahnsinnig vor. Aber sosehr er sich auch bemühte, er konnte keine andere Erklärung finden. Die menschlichen Überreste, die er an den Wänden des Gebäudes gesehen hatte, waren schließlich real genug gewesen.
In was ist Arish da hineingeraten?, fragte er sich.
Als sie zum Arraby-Tor zurückkehrten, hatte Riis eine Entscheidung getroffen. Er konnte weder Amita noch Saroyan retten. Aber er konnte Arish, Evan Broglanh und seine eigenen Männer retten, und vielleicht Hunderte von Soldaten, die loyal zur Cité standen. Dieser Attentatsversuch konnte schließlich nicht stattfinden, wenn der Kaiser bereits tot war.
Also blieb Riis noch bis zum Tag der Zusammenkunft Zeit, um ihn zu ermorden.
Teil sechs – DER TAG DER ZU SAMMENK UNFT
35
Die Götter der Winde und des Wassers waren zahlreich und sehr verschieden und zudem überaus launisch. In der Cité hatten die Alten einst diese Götter der vier Winde angebetet, obwohl die moderneren Menschen, die weniger zum Aberglauben neigten, nur noch zum Gott der Nordwinde beteten, weil dessen ständige Präsenz kaum angezweifelt werden konnte. Einfachere Menschen beteten zu den Göttern der Meere, der Flüsse, des Regens, des Schnees, der Blitze und des Donners. Und die Landbevölkerung, deren Wohl vom Wetter abhing, betete zu denselben Göttern und zusätzlich noch zu den geringeren Gottheiten des Nebels, des Frostes und dem freundlichen Gott des Morgentaus.
Elija lag auf dem Boden des Bootes, hilflos in den Fängen der Seekrankheit, und betete zu all diesen Göttern. Manchmal hoffte er, eine Veränderung in den Bewegungen des Schiffs wahrnehmen zu können, ein schwaches Nachlassen der Dünung, und betete noch inniger und stellte sich vor, wie seine Qualen ein Ende fanden. Doch dann wogte das Meer erneut und mit ihm sein Magen, der inzwischen vollkommen leer war bis auf die winzigen Schlucke Wasser, die er hatte hinunterwürgen können.
Er hatte den Tag damit verbracht, auf das graue Holz der Planke vor seinem Gesicht zu starren. Das Schiff, ein ehemaliges Fischerboot, jetzt zu einem Landeschiff des Militärs befördert, stank nach Fisch, und er glaubte, sogar ein Schuppenmuster erkennen zu können, das sich in das Holz eingeprägt hatte. Manchmal sahen sie wie Gesichter aus.
Sie waren jetzt drei Tage und drei lange Nächte in diesem Boot. Der Konvoi aus vier
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