Der Moloch: Roman (German Edition)
Jüngste von ihnen, hatte ihn nie vergessen, sondern hatte offenbar seine Wut und seine Entschlossenheit all die Jahre aufrechterhalten.
» Deshalb hast du mich also weggeschickt, mit Indaro«, sagte sein alter Freund. » Um dein Glück zu versuchen. Um den Kaiser zu töten. Aber es war auch nur einer seiner Doppelgänger.«
Und selbst das stimmte nicht. Fell hatte ihn aus sentimentalen Gründen weggeschickt. Weil etwas in ihm diesen Mann immer noch als kleinen Jungen sah, der beschützt werden musste, so wie er Indaro beschützen wollte. » Was ist mit dir passiert«, fragte er, » nachdem Indaro dich mit dem gebrochenen Arm zurückgelassen hat?«
Broglanh zuckte nur mit den Schultern, als wäre das nicht von Bedeutung, und grinste. » Wie geht es ihr?«
» Wie immer.« Ein Schatten flog über Fells Gemüt, als er an die Gefahren dachte, denen sie sich zweifellos gegenübersah.
» Sie wird das schon schaffen, sie und ihr Garret«, sagte Broglanh, als hätte er das gespürt. » Wahrscheinlich erreicht sie den Kaiser, bevor es uns gelingt. Möglicherweise«, fuhr er fröhlich fort, » ist der Mistkerl längst tot. Und wir können einfach losgehen und uns betrinken.«
Stunden später saß Fell auf einer hölzernen Bank im Hof der Nordmänner, die Beine vor sich ausgestreckt, die Füße überkreuzt und die Arme verschränkt. Er gähnte und seufzte. Broglanh und er warteten seit Sonnenaufgang in diesem Hof direkt hinter dem Tor des Friedens. Mittlerweile waren ihnen die banalen Gesprächsthemen ausgegangen, aber sie waren sich beide des Metallgitters in der weißen Steinmauer hinter ihnen bewusst. Dieses Gitter verhinderte jede Diskussion über ein Thema, für das sie verhaftet oder exekutiert werden könnten. Außerdem gab es nicht viel zu besprechen – sie mussten so dicht an den Kaiser herankommen wie möglich, und ihn mit dem töten, was sie gerade zur Hand hatten. Es war kein besonders großartiger Plan. Aber er musste genügen.
Am Tor des Roten Palastes hatte man ihnen die Papiere abgenommen, sie überprüft, und dann waren sie nach Waffen durchsucht worden. Fell hatte ein schlankes Stilett in das steife Leder seines Wamses eingenäht und dazu ein Messer in seinem Stiefel versteckt. Man befahl ihnen zwar, die Stiefel auszuschütteln, aber das Messer steckte in einem speziell genähten Fach im Leder und blieb unentdeckt. Broglanh hatte giftige Kugeln im Saum seines verblichenen roten Wamses versteckt, die ihm Gils Verbündete von den Buldekki-Stammesleuten gegeben hatten.
Der von Bäumen beschattete Hof war einer von Fells Lieblingsorten in der Cité. In die eine Wand waren Reliefs von Werwölfen und Werfrauen gemeißelt. Broglanh war noch nie hier gewesen und starrte sie ungläubig an. Die Frauen hatten Reißzähne und Pelz auf dem Rücken und lange Schwänze, aber auch cremig weiße Brüste, und sie sprangen durch einen gemeißelten Dschungel auf ein Rudel knurrender Wölfe zu. Es war nicht ganz klar, ob sie sich mit ihnen paaren oder sie töten wollten.
Fell stand auf. Er hatte die letzten Tage Übungen gemacht, wenn er nicht im Sattel saß, um seinen Körper kräftig und seinen Verstand ruhig und konzentriert zu halten. Jetzt spürte er, wie seine Muskeln vom langen Herumsitzen steif wurden. Er schwang die Arme und ging im dichten Nieselregen im Hof auf und ab. Er widerstand der Versuchung, auf der Stelle zu laufen. Er vertrieb jeden Gedanken an Frustration und Langeweile aus seinem Verstand und konzentrierte sich darauf, die Muskeln seiner Schultern und seines Nackens zu entspannen. Er hatte vielleicht nur eine einzige Chance und musste bereit sein.
Er sah, wie Evan den Kopf hob. Ein Palastbediensteter überquerte den Hof und winkte sie zu sich. Broglanh stand auf, und sie folgten dem Mann in die Dunkelheit des Palastes. Er führte sie durch ein Labyrinth aus Korridoren und dann zwei Treppenfluchten hinab, wo die Gänge von Fackeln erleuchtet waren und die Luft feucht und muffig roch. Fell spürte, wie Broglanh ihm einen Blick zuwarf, aber er reagierte nicht. Er war darauf konzentriert, alles in sich aufzunehmen, die Breite des Korridors, die Höhe der eisernen Fackelhalter und versuchte herauszufinden, ob der kahlköpfige Diener in seiner weißen Robe bewaffnet war oder nicht.
Schließlich kamen sie an eine hohe, eisenbeschlagene Tür. Der Bedienstete öffnete sie und trat ein. Die beiden Krieger sahen sich an und folgten ihm, bereit, auf jede Konfrontation zu reagieren. Hinter der Tür lag ein
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