Der Moloch: Roman (German Edition)
anderen am Tisch, Doon, Evan und der junge, blonde Bursche, dessen Name ihm immer entfiel. Er war zufrieden zu seinem Zelt zurückgekehrt, weil er glaubte, die beiden in Sicherheit zu haben. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie in einen Hinterhalt gerieten. Aber irgendwie hatte sie ihn überlebt, wie sie immer alles überlebte.
Das Land im Osten der Cité hieß offiziell die Ebene der Trotzigen Unternehmungen, aber alle Leute nannten sie die Baumlose Ebene. Im Grunde war es nicht einmal eine Ebene, sondern eine ganze Reihe von Steppen, die sich vom Bett des großen Kercheval bis zur Cité erstreckten. Sie war trocken und wirkte auf den ersten Blick leblos, aber in Wirklichkeit wimmelte es dort von kleinen Kreaturen. Indaro lag am Rand einer kleinen Senke und beobachtete seit Stunden die Steppe Richtung Osten. Sie fühlte sich ebenso staubig und trocken wie das Land vor ihr. Aber sie hatte keine feindlichen Soldaten gesehen, dafür jedoch ganze Heerscharen von Kaninchen, die sie unterhalten hatten, während sie rund um die wenig aussichtsreichen Sträucher nach Nahrung suchten. Sie fragte sich, wie so viele Tiere von so wenig vom Wind zerzausten Gras und Sträuchern leben konnten. Indaro lag auf dem Bauch, hatte das Kinn auf die verschränkten Arme gelegt und schützte ihren Kopf mit einem zerfetzten Stück Tuch vor der Sonne. Die Kaninchen kamen immer näher, mit großen, aufmerksamen Augen, bis eines von ihnen sie sah und davonrannte. Dann flüchteten sie in Scharen, und die weißen Blumen ihrer Stummelschwänze tanzten auf und ab, bis sie alle plötzlich anhielten und sich auf die Hinterbeine setzten. Indaro fragte sich, wovor sie so große Angst hatten; welche Raubtiere fraßen denn in dieser abweisenden Gegend Kaninchen? Sie warf einen Blick auf den strahlend weißen Himmel, aber darin war nichts, niemand kreiste nach Beute Ausschau haltend durch die Lüfte, bereit, ein dürres Karnickel für seine Jungen zu schlagen.
Die komischen Kreaturen lenkten sie von dem Schmerz in ihrem Bauch und dem unablässigen, quälenden Durst ab. Und auch von den Gedanken an die verletzten Soldaten, die in der Senke hinter ihr lagen. Nach dem Massaker waren Doon und sie nach Westen gehumpelt, waren die ganze Nacht gegangen, bis sie im Morgengrauen auf eine kleine Gruppe von Roten gestoßen waren, die dem Gemetzel ebenfalls hatten entkommen können. Zwei von ihnen waren so schwer verletzt, dass sie in der ersten Nacht gestorben waren. In der zweiten Nacht starb ein weiterer Soldat. Jetzt waren sie noch fünf. Sie und Doon, deren Wunde gut heilte, und Garret, der natürlich unverletzt war. Staker, der Nordländer mit dem roten Zopf, hatte eine unbedeutende Schnittwunde in der Seite und einen gebrochenen Knöchel, aber er konnte sich auf einer improvisierten Krücke gut bewegen. Queza war das Problem. Die kleine Frau hatte eine Bauchwunde davongetragen, wahrscheinlich von einem Speerstich. Die hatte zwar aufgehört zu bluten, aber eine helle, stinkende Flüssigkeit sickerte unablässig heraus. Queza war inzwischen halb bewusstlos und murmelte im Fieberwahn. Man hatte erwartet, dass sie in der ersten Nacht sterben würde, aber sie hielt durch, und Indaro brachte es nicht fertig, sie einfach zurückzulassen. Queza konnte überleben, falls man sie in die Cité zurückbrachte, und das war möglich, wenn Verstärkung kam. Also hielt sie Ausschau nach Osten, nach dem Feind, während Garret im Westen nach Soldaten der Cité suchte.
Mitten am Nachmittag, als Indaro gerade einzudösen drohte, hörte sie ein Scharren. Staker ließ sich unbeholfen neben ihr nieder.
» Wir sollten heute Nacht versuchen weiterzuziehen«, sagte er. Sein Gesicht war grau vor Schmerz.
Indaro wusste, dass er Recht hatte, aber sie sagte nichts.
» Dieses Mädchen, deine Kameradin, wird sterben. Es ist sinnlos, wenn wir mit ihr sterben.« Dieses Argument hatte er schon früher gebracht.
» Wir können eine Trage bauen. Garret und ich werden sie tragen.«
» Du kannst dich kaum selbst weiterschleppen, Frau. Wir alle sind schwach wie neugeborene Welpen.«
» Sie ist winzig. Sie wiegt nicht mehr als ein Tornister.«
Er zuckte mit den Schultern. » Wie du willst. Garret ist vollkommen in dich vernarrt. Er wird alles tun, was du sagst.«
Mühsam richtete Indaro sich auf und zog die Knie an, um aufzustehen. Allein durch die Bewegung wurde ihr schon schwindlig. Sie mussten sehr bald Wasser finden, sonst würden sie alle sterben.
» Mach dir keine Sorgen um
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