Der Moloch: Roman (German Edition)
Sie sah sich um. Alle schliefen, bis auf Fell. Er hielt Wache und trug wieder seine eigene Uniform. Sie fragte sich, ob er überhaupt jemals schlief. Erneut überprüfte sie Quezas Puls , da nn ging sie zu ihm und setzte sich neben ihren Kommandeur.
» Was macht die Wunde?«
Er zuckte mit den Schultern; es war nicht der Rede wert.
» Werden wir die Cité heute erreichen?«, fragte sie.
» Wenn unsere Feinde uns nicht in die Quere kommen, ja.« Er blickte weiter nach Osten.
» Queza kann es vielleicht schaffen.«
» Vielleicht.«
» Sie ist klein und leicht. Vielleicht hat der Speerstoß sie nicht so tief durchbohrt, weil ihr Körper davon zurückgeschoben wurde.« Jetzt endlich drehte er sich um und sah sie fragend an.
» Ich meine«, erklärte sie, » ein großer, starker Mann hätte dem Hieb widerstanden, sodass der Speer tiefer in seinen Bauch eingedrungen wäre.«
» Eine interessante Vorstellung«, gab er zurück. » Aber du solltest dir nicht zu große Hoffnungen wegen Queza machen. Bauchwunden sind die schlimmsten.«
Das wussten sie beide sehr gut, aber über dieses Thema zu reden, fiel ihnen leicht. Sie waren beide Experten für Verletzungen und Tod sowie die verschiedenen quälenden Stadien des Sterbens.
Sie wollte, dass er weitersprach. » Mein Vater hat mir erzählt«, sagte sie, » dass Wunden sich entzünden, weil Schmutz an der Waffe ist und Fetzen von schmutziger Kleidung in den Körper geschoben werden und dort verfaulen.« Die Erinnerung wärmte sie, und sie setzte hinzu: » Er hat mir geraten, immer ein sauberes Hemd unter meiner Rüstung zu tragen.«
Zum ersten Mal, seit sie Fell kannte, sah sie etwas wie Belustigung in seiner Miene. Die neuen Linien in seinem Gesicht schienen unbekannten Pfaden zu folgen, und er sah plötzlich aus wie ein Fremder, einer, der nicht unbedingt ein Mann des Krieges war.
» Wann hast du denn das letzte Mal ein sauberes Hemd unter deiner Rüstung getragen?«, fragte er sie mit einem Lächeln.
Sie lächelte auch. Sauberkeit war mittlerweile eine sehr fremde Vorstellung, etwa so wie Käseherstellung oder schwarze Magie.
» Letztes Jahr vielleicht. Letzten Sommer, als wir an diesem Ort mit den Orangenbäumen und den mit Schilf gedeckten Häusern waren.«
» Kupferbrand.«
» Ja. Es war entzückend dort. Unter dem Herbstlaub sah das Land aus, als würde es brennen.«
» Der Herbst ist meine Lieblingsjahreszeit«, sagte er.
Er trank einen Schluck Wasser und reichte ihr dann den Schlauch. Sie trank lange und tief. Sie wollte gerade eine Bemerkung über Wasser machen, nur damit er weiterredete, aber als sie ihren Mund öffnete, kam etwas vollkommen anderes heraus. » Hast du eine Abneigung gegen alle weiblichen Krieger oder nur gegen mich?«
Er runzelte die Stirn, und sein Gesicht wurde wieder vertrauter. » Ich habe überhaupt keine Abneigung gegen dich. Und ich respektiere unsere Frauen. Sie haben ihren Wert immer und immer wieder unter Beweis gestellt. Sie verfügen vielleicht nicht über die brutale Kraft der Männer, aber sie sind schneller, beweglicher und oft wesentlich rücksichtsloser.«
Man sagte, die Frauen würden schneller auf die Genitalien zielen. Sie würden dem Feind, ohne zu zögern, den Unterleib aufschlitzen. Manchmal schienen sie es sogar zu genießen.
Er sprach weiter. » Sie erleiden mehr Verletzungen als Männer, aber die Wunden scheinen weniger schwer zu sein, und sie überleben es auch öfter.«
Das alles wusste Indaro. Sie vermutete, dass er einfach nur laut dachte, und war klug genug, den Mund zu halten.
» Aber ich glaube trotzdem, dass in diesem Krieg keine Frauen kämpfen sollten. Der Feind setzt auch keine Frauen ein. Und sie verachten uns dafür.«
» Der Feind braucht das auch nicht zu tun. Und warum sollte uns kümmern, was der Feind denkt?«
» Es kümmert uns nicht. Aber wir sollten uns dessen bewusst sein. Das nennt man Intelligenz«, antwortete er.
» Warst du schon Soldat, als die Frauen in die Armee einberufen wurden?«
» Schon lange vorher. Ich kann mich noch daran erinnern, wie sie ankamen. Die meisten von ihnen hatten Angst und waren nicht ausgebildet. Sie wurden zu Tausenden abgeschlachtet.« Er blickte auf seine Hände, und zum ersten Mal bemerkte sie, dass an seiner linken Hand zwei Finger fehlten. Sie fragte sich, woran er wohl dachte. » Es war erbärmlich«, erklärte er. » Einige von uns schworen, es nie wieder zu so etwas kommen zu lassen. Aber es dauerte sehr lange, bis die Generäle begriffen,
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