Der Moloch: Roman (German Edition)
Sie nahm einen frischen Verband heraus. Er zog sein Lederwams aus und öffnete das Hemd, das er ebenfalls einem Toten abgenommen hatte.
» Leg dich hin«, befahl sie. Er legte sich auf den Rücken und starrte zu den Sternen hinauf. Himmelblaue Augen dachte sie. Trotz ihrer hoffnungslosen Situation spürte sie, wie sich tief in ihrem Bauch Wärme ausbreitete. Konfrontiert mit dieser unerwarteten Pause erklärte ihr verräterischer Körper, was sie brauchte, nämlich entspannenden Sex. Wundervoll, dachte sie. Genau der richtige Augenblick.
» Warum hast du dich Archange angeschlossen?« Er nahm den Faden ihres letzten Gespräches auf, als wäre in der Zwischenzeit nichts geschehen.
Sie konzentrierte sich darauf, seine Wunde zu säubern, war sich aber sehr deutlich bewusst, dass er sie aufmerksam betrachtete. » Mein Bruder Rubin«, erklärte sie schließlich, » ist in den Kanälen verschwunden. Er war jünger als ich. Er hat den Krieg verabscheut. Er weigerte sich zu kämpfen und sagte, er würde sich lieber auf die Seite der Blauen schlagen.« Fell zog die Augenbrauen hoch, und sie sprach rasch weiter. » Ich weiß, was du denkst, aber er war kein Feigling. Das haben zwar alle behauptet, aber es entspricht nicht der Wahrheit. Er hatte das Gefühl, dass dieser Krieg falsch sei, und glaubte, so wie du, dass Frauen nicht als Soldaten dienen sollten. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war ich zu Hause, weil ich Heimaturlaub hatte. Er hat mir erzählt, was er vorhatte. Ich habe versucht, es ihm auszureden, um seinetwillen und wegen unseres Vaters und wahrscheinlich auch meinetwegen. Aber er wollte nicht hören. Als er verschwunden war, wusste ich, wohin er gegangen war. Deshalb bin ich ihm gefolgt. Es war nicht die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.« Sie lächelte bedauernd. » Ich hatte keine Ahnung, wie es da unten in den Kanälen aussah, wie viele Hunderte von Wegstunden Dunkelheit und Schrecken es dort gibt, wie viele Tausende verzweifelter Menschen dort unten leben. Es war der reinste Albtraum. Und die Chance, ihn in dieser Finsternis zu finden, war so gering.«
» Wurde er denn jemals gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. » Ich möchte gerne glauben, dass er überlebt hat und jetzt irgendwo in Sicherheit ist. Und dass mein Vater es weiß und damit zufrieden ist, ihn zu verstecken. Ich weiß auch, dass diese Gedanken Hochverrat sind. Aber da wir ja ohnehin sterben müssen … wie auch immer …« Sie zuckte mit den Schultern. » Ich nehme nicht an, dass das jetzt noch eine Rolle spielt. Warum ist dieser Bote zur Cité geritten? Will er wegen Lösegeld für uns verhandeln?«
» Ich bin nicht wichtig genug, als dass jemand Lösegeld für mich zahlen würde.«
» Aber sie haben dich gesucht. Warum sollte der Feind nach dir suchen?«
» Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, es ist eine Sache der Politik. Unser General, unser verstorbener General, wie ich annehme und inständig hoffe, hat immer gesagt, es würde sich alles um Politik drehen.«
» Ich verabscheue Randell Kerr. Und ich verabscheue seine Einstellungen. Der Mann ist ein Narr, ein gefährlicher Narr, und doch zitierst du ihn.«
Fell grinste sie an, und der Zorn in ihrer Brust verpuffte. Sie lachte. Sie stellte fest, dass sie das hier genoss. Hier, am Ende der Welt, war sie zum ersten Mal seit Jahren glücklich. Sie bemerkte, dass die anderen sie neugierig ansahen.
» Können wir das hier überleben?«, fragte sie ihn leise.
» Das habe ich mich die letzten sieben Tage jeden Tag gefragt. Und wir sind immer noch hier.«
Sie hatte den Verband fertig angelegt und dabei bemerkt, dass die Wunde langsam heilte. Sie räumte das Verbandszeug wieder in den Tornister. Dann beugte sie sich vor und küsste Fell mitten auf den Mund. Einen Moment lang spannte er sich an, dann spürte sie, wie seine Lippen weich wurden und seine Zunge kurz die ihre streifte. Sie hob den Kopf. Das ist ein Versprechen, dachte sie. Wenn wir das hier überleben.
» Der Bote kommt zurück«, verkündete Garret.
Der Reiter galoppierte zu ihnen, sprang vom Pferd und sprach mit dem Anführer der Grauen. Dann verschwand er mit dem Rest der Reiter in der Dunkelheit.
Wieder verstrich Zeit und nichts passierte, bis ein rosa Streifen am westlichen Himmel auftauchte und Indaro die Umrisse von Freunden und Feinden um sie herum erkennen konnte.
Doon stand auf und streckte sich. » Was soll das denn nun?«, fragte sie gereizt. » Warum töten sie uns nicht einfach, und
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