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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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schiebt das eigentliche Problem nur vor sich her. Wir haben zwanzig Jahre lang eine soziale und vor allem christliche Regierung gehabt. Man sollte meinen, sie hätten uns lehren können zu beten. Stattdessen, haben wir nur zwei Dinge gelernt. Nämlich Fressen und Saufen. Und deine Haschqualmerei ist die konsequente Fortsetzung.«
    »Das ist gut«, sagte der Junge. »Ich möchte jetzt schlafen.«
    »Sicher«, sagte Horstmann, »sicher.« Er trank den Schnaps, den Sabine ihm gebracht hatte, und sagte: »Mach es gut!« Dann ging er die Treppe hinunter. Er hatte jetzt ein wenig Angst davor, seiner so farblosen Frau gegenüberzutreten, die keine Jungfernschaft mehr zu verlieren hatte, die nicht Haschisch rauchte und auch nicht schluchzte, die nur einfach da war, nicht mehr. Er dachte, dass nie etwas in seinem Leben an Besonderheit mehr geschehen würde, wenn er weiter stur wie ein Zugochse an ihrer Seite dahertrabte. Es war gut gewesen, sich hunderttausend Mark zu beschaffen.
    Im Wohnzimmer fragte Sabine: »Du hast ihn geschlagen, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er.
    »Hat er sich beruhigt?«
    »Ich glaube.«
    »Gibst du ihm das Geld?«
    »Natürlich«, sagte er.
    »Ich würde es nicht tun«, sagte sie. »Ich würde an deiner Stelle diesen Verkäufer selbst bezahlen.«
    »Ich gebe mich nicht mit solchen Leuten ab.«
    »Es ist nur so ein Gefühl«, sagte sie. Dann legte sie wieder diese Platte auf mit dem Titel »Der Condor zieht vorbei«. Sie wirkte melancholisch.
    Es war bitter, wenn man den Kindern sagte, man verstehe sie nicht. Die Kinder sagten dann höhnisch etwas von »weltfremd« oder »autoritär« oder »Establishment« oder »hoffnungslos«. Und man durfte sie nicht wissen lassen, dass man genau begriffen hatte, was in ihnen war: Ihr Hohn war nicht echt, sie gebrauchten diese Begriffe, ohne sie richtig verstanden zu haben.
    Horstmann wusste plötzlich, dass zwischen ihm und seinen Kindern nicht sehr viel Unterschied war. Er wollte fliehen, Sabine und Harald waren schon geflohen. Und die Gründe waren die gleichen; es war diese so beschissene Zeit, diese gottverdammte Art, so hastig und rücksichtslos zu leben, dass neben einem ein Mensch zerbrach und verging, ohne dass man die Signale seiner Not hörte. Die Antennen dafür hatte man sich abbrechen lassen, und die meisten Menschen, die er kannte, fragten stets mit den Augen einer Kuh: »Wohin soll dies noch führen?«
    Horstmann trank noch einen Schnaps, nur um irgendetwas zu tun. Irgendetwas in ihm weinte, und er war so hilflos dagegen, dass er wütend wurde. »Es ist eine Scheiße!« sagte er.
    »Kommt drauf an«, sagte Sabine. »Manchmal möchte ich mir von einem Neger oder von einem Chinesen ein Kind machen lassen. Und dann möchte ich eine Insel haben für mich allein.«
    »Was willst du mit einer Insel?«, fragte Horstmann.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Sabine. »Mama kommt.«
    Marias Gesicht erschien im Halbdunkel des Korridors. Horstmann konnte dieses Gesicht nicht genau sehen, aber er wusste, wie es aussah. Es war eine Mischung aus Neugier und Furcht.
    Horstmann hatte schon häufig darüber nachgedacht, wovor sie sich fürchtete, und er hatte auch danach gefragt. Als er jedoch begriffen hatte, dass sie es selbst nicht wusste oder nicht wissen wollte, weil ihr Unterbewusstsein die Gründe nicht freigab, hatte er es aufgegeben, weiter danach zu forschen. Das war nun schon viele Jahre her.
    Sie stand da, zaghaft modern gekleidet, und ihr Gesicht war ein nicht genau auszumachendes Objekt. Sie sagte: »Entschuldigt bitte, ich habe mich verspätet, habt ihr schon Hunger?«
    »Es ist zu ertragen«, sagte Horstmann gutmütig. »Es ist noch früh, aber ich muss noch einmal fort.« Er fragte sich, warum er überhaupt die Anstrengung machte, gutmütig zu sein. Wahrscheinlich war es die aus Traditionen überkommene Höflichkeit in ihm. Im Grunde jedoch war es gleichgültig, was es war. Es ist nun einmal besser, höflich zu sein, dachte er. Es macht vieles einfacher und bequemer. Man braucht sich nicht anzuschreien, sich nicht zu verdächtigen, sich nicht einmal aus dem Weg zu gehen. Die Ehe latscht eben daher wie ein Paar Filzpantoffeln auf einem Krankenhausgang. Und plötzlich war er zornig. Er dachte: Hoffentlich ist einer ihrer Herzanfälle stark genug, sie zu töten. Zum ersten Mal tat ihm ein solch plötzlicher Gedanke nicht leid.
    »Wohin musst du?«, fragte sie, obwohl sie genau wusste, was er antworten würde.
    »Ins Werk«, sagte er.
    Sie glaubte ihm einfach

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