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Der Mond bricht durch die Wolken

Der Mond bricht durch die Wolken

Titel: Der Mond bricht durch die Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Crispin
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Gelächters bringen, indem sie nur ihren vollen Namen aussprachen; und sie hielten es für ein Meisterstück, ihre erste Albernheit damit fortgesetzt zu haben, daß sie ihren Sohn John Will nannten.
    »Ein Glück für sie, daß sie zur Taufe nicht zu mir gekommen sind«, erklärte der Pfarrer, »sonst hätte ich sie mit ihren dummen Köpfen in das Taufbecken gesteckt, bis sie ertrunken wären.«
    Es war aber natürlich eher der strafende als der humorvolle Aspekt von Anna Mays Eltern, der sie in erster Linie beschäftigte, als sie an jenem Montag gegen 19.30 Uhr auf dem wenig benutzten Weg nördlich von Bawdeys Measow dahinhastete. Wie sie der Polizei später erklärte, sei sie, was die Zeit angehe, ihrer Sache ganz sicher, weil ihre Uhr eine gute sei und sie Grund genug gehabt habe (so fügte sie dumpf hinzu), immer wieder auf sie zu blicken.
    Fast ganz Bawdeys Meadow ist offenes Weideland; an einer Ecke ist jedoch ein altes, häßliches Wäldchen übriggeblieben, Rest einer der irrsinnig komplizierten Grundstücksverträge, die von altersher den Zeitvertreib von Landwirten bilden. Die Bäume wachsen dort dicht; wenngleich nicht tot, sehen sie tot aus. Auf dem schwammigen Boden ist Abfall verstreut nicht der Abfall von Spaziergängern, sondern von Leuten, die widerliche Dinge loswerden wollen und eine entsprechend widerliche Stelle gefunden haben, sie abzuladen. Das Licht dringt nur spärlich durch das Gewirr der krummen, bemoosten Äste. Eine hohe, ungepflegte Hecke verbirgt das Wäldchen von der Straße, außer an einer Stelle, wo ein schiefhängendes Gatter Zugang gewährt.
    Jener Montagabend war kühl und bedeckt; das Wetter hatte zwei Stunden vor der richtigen Dämmerung eine falsche angekündigt. Ihrem Heim und der Vergeltung entgegeneilend, während ihre Waden schon vorzeitig prickelten, nahm Anna May die beiden Stimmen, die irgendwo auf der anderen Seite der Hecke miteinander murmelten, nur ganz undeutlich wahr. Sie hatte an andere, wichtigere Dinge zu denken.
    Aber dann gellte eine der Stimmen plötzlich mit erschreckender Plötzlichkeit zu einem ungezügelten Schrei reiner Furcht empor.
    Dem Geräusch des Schlages folgte ein Krachen im Unterholz, das sich rasch näherte. Anna May, die automatisch weiterlief, erreichte das Waldgatter gerade in dem Augenblick, als Routh aus den Bäumen heraustaumelte.
    Seine zerschmetterte rechte Schläfe, durch Blut noch kaum getarnt, zeigte sich wie ein in einen Ball aus weißem Zelluloid hineingeschlagenes Loch. Blind nach einem Halt tastend, torkelte er und stürzte; Anna May hörte das Krachen, als sein Arm unter ihm brach. Schlagartig quoll das Blut, zuerst aus seinem Mund, dann aus seinem zerstörten Schädel. Er zuckte dreimal sehr heftig, bevor er endlich erschlaffte.
    Danach erinnerte sich Anna May, daß Geräusche von einer anderen Person, die in Bewegung war, hörbar wurden und daß die Geräusche aufhörten, als die Person mit dem Schuh in den Kies am Straßenrand stieß. Aber zu diesem Zeitpunkt dachte Anna May an Unfall, nicht an Gewalttat, und außerdem hatte der Anblick Rouths sie so schockiert, daß sie vorübergehend nichts anderes wahrnahm. Mit beträchtlichem Mut trat sie vor und blieb bei ihm stehen. Sie hatte in der Schule bei Erster Hilfe gut aufgepaßt, und schließlich war das hier etwas, wo Erste Hilfe gebraucht wurde, also -
    Sie bückte sich, um seinen Puls zu fühlen: nichts. Achtete auf seine Atmung: und nichts. Wilde Gedanken an Mund-zu-MundBeatmung zuckten durch ihr Gehirn. Aber wenn eine schwere Gehirnschädigung vorlag, nutzte diese Beatmungsmethode nichts, oder? Außerdem glaubte sie nicht, daß sie sich dazu überwinden konnte, es zu versuchen. Auf keinen Fall. Das würde bedeuten, daß sie ihr Haar auf diese gerinnende Schrecklichkeit würde fallen lassen und diese breite, weiße Nase zudrücken müssen; außerdem hätte sie auch noch in dem Mund herumtasten müssen, um sich zu vergewissern, daß die Zunge nicht zurückfiel und die Luftröhre blockierte. Nein, ausgeschlossen.
    Hinter der Abschirmung verkrüppelter Bäume kicherte jemand, der zusah, plötzlich unbeherrscht.
    Als die neue Konstellation klar und komplett sich ihrem Verständnis erschloß, wie ein neues Dia in einem Projektor, fuhr Anna May herum und rannte los, mit rasendem Herzen, trockener Kehle. Ihre Gummisohlen wirbelten kleine Staubwölkchen hoch, als sie verzweifelt auf dem Teer dahinklatschten, der vor alter Zeit glatt und schlüpfrig geworden war. Am nächsten lag,

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