Der Mond im See
abgeprallt. Der Kopf sieht schlimm aus, ich muß nähen. Und er hat viel Blut verloren. Und natürlich ist auch der Wärmeverlust des Körpers durch das Liegen im Wasser sehr abträglich. Aber ich denke, daß man das hinkriegen wird. Am besten wäre es, ich könnte ihn in meiner Praxis haben. Der Transport wäre ihm aber schädlich. Also werde ich ihn hier behandeln. Ich fahre bloß hinunter und hole mir, was ich brauche.«
Ich blickte dankbar zu dem Ruedi auf. Er behandelte den Hund, als handele es sich um einen Erste-Klasse-Patienten in einem Privatkrankenhaus.
»Du bist ein echter, wirklicher Arzt«, murmelte ich.
»Warum sagst du das?«
»Weil du den armen Hund genauso behandelst wie einen teuer zahlenden Hotelgast.«
Der Ruedi lächelte ein wenig. »Ach weißt du, wenn einer krank ist oder verletzt, ist er sowieso immer ein armer Hund. Und wem ich helfe, ist mir ganz egal. Wenn ich nur helfen kann.«
Der Ruedi und ich tauschten einen langen Blick. »Freund!« sagte ich dann und weiter nichts.
Mein Blick fiel auf Ilona, die bei uns stand und unseren kurzen Dialog gehört hatte. Sie hatte ein müdes, blasses kleines Gesicht, ihre Augen standen voll Tränen, auch sonst war sie naß und zerzaust und sah mitgenommen aus, aber als sie meinen Blick bemerkte, schluckte sie und versuchte ein kleines Lächeln. Und auf einmal war mir, als ob ich auch zu ihr sagen könnte, was ich eben zu dem Ruedi gesagt hatte: Freund.
Ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken, was das bedeutete. Aber ich behielt es irgendwo im Winkel meines verwirrten Kopfes und meiner verstörten Seele. Irgendwann, wenn ich etwas zur Ruhe gekommen war, würde ich darüber nachdenken. Der Ruedi machte sich auf den Weg, um die Instrumente zu holen, die er für die Operation brauchte, nachdem er Amigo eine herzstärkende Spritze gegeben hatte. Und ich erfuhr nun, was sich während unserer Abwesenheit hier getan hatte. Ein Telefonanruf war gekommen. Eine Männerstimme hatte nach Frau Thorez verlangt. Annabelle, die am Apparat war, hatte gesagt, daß Renate schliefe und nicht zu wecken sei. Daraufhin hatte es eine kleine Pause gegeben, und dann war gefragt worden, wer am Apparat sei.
»Hier ist Annabelle de Latour«, hatte Annabelle mit klopfendem Herzen geantwortet.
»Sie wissen ja wohl Bescheid. Sagen Sie Frau Thorez: keine Polizei. Sie wird Nachricht erhalten. Ihrem Sohn wird nichts geschehen, er wird gut versorgt. Aber das könnte sich ändern, falls sie die Polizei einschaltet. Haben Sie verstanden?«
»Ja.«
»Keine Polizei«, kam es noch einmal drohend von einer eigentümlich dumpfen Stimme. Dann wurde eingehängt.
Nun, die Polizei war bereits im Hause. Notgedrungen hatte Annabelle Wachtmeister Schnyder den Wortlaut des Anrufers wiederholt. Nun war der Sheriff am Ende seines Lateins. Was zu verstehen war – mit diesem Fall war er überfordert. Er saß nun seinerseits wie ein Häufchen Unglück auf einem Stuhl und blickte uns hilflos an. Er tat mir fast leid.
»Was soll ich da nun machen?« fragte er mich, ganz zahm und kleinlaut. Ich brauchte nicht viel zu sagen, die anderen hatten ihn schon überzeugt, daß er im Moment nichts machen könne, wenn man den Jungen nicht gefährden wolle. Bill, der Amerikaner, von zu Hause bestens vertraut mit Kidnapping-Affären, schilderte anschaulich, daß die Polizei sich zurückhalten müsse, bis das Kind, tot oder lebendig, zum Vorschein gekommen wäre. Man habe oft genug erlebt, was das zu frühe Eingreifen der Polizei für Schaden anrichten könne. Es bedeute meist das Todesurteil für das entführte Kind.
Yves unterstützte mit beredten Worten Freund Bill. Ich war erstaunt, zu sehen und zu hören, wie sich der blasierte Literat den Fall zu Herzen nahm. Er sah mitgenommen aus, rauchte mit zitternden Händen eine Zigarette nach der anderen und redete und redete. Er war also doch nicht so arrogant und gefühllos, wie ich geglaubt hatte. Ich hatte ihm unrecht getan. Annabelle fragte mich, was ich dazu für eine Meinung hätte. Ich hob ratlos die Schultern. »Ich fürchte, deine Freunde haben recht. Ein rigoroses Eingreifen der Polizei würde René noch mehr gefährden. Wir müssen abwarten, was wir weiter hören. Wo kam der Anruf denn her? Hast du das feststellen lassen?«
Ja, das hatte sie. Der Anruf war aus Basel gekommen.
»Aha«, sagte ich, »ganz logisch. Eine Grenzstadt. Von dort ist man ebenso schnell in Frankreich wie in Deutschland. Und welche Sprache benutzte der Anrufer?«
»Er sprach
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