Der Mond im See
deutsch. Mit einem kleinen Akzent, würde ich sagen. Aber es hörte sich merkwürdig an, man hatte Mühe, ihn überhaupt zu verstehen.«
»Was halten Sie davon?« fragte ich den Kriminalrat, der sich natürlich auch in unserem Kreis befand.
»Man hätte natürlich die Grenzübergänge bei Basel alarmieren können. Aber bis das von hier angelaufen wäre, wäre es vermutlich zu spät gewesen. Falls der Täter wirklich dort über die Grenze geht. Und falls er das Kind bei sich hat. So gut vorbereitet, wie die Sache erscheint, halte ich ihn für raffinierter.«
»Und was machen wir nun?« fragte ich. »Sollten wir nicht doch die Kriminalpolizei von Zürich einschalten? Oder wenigstens Kommissär Tschudi? Wir können doch nicht hier sitzen und nichts tun?«
»Das müssen wir«, sagte der Kriminalrat sehr laut und entschieden. »Ich bin strikt dagegen, eine Ermittlung in die Wege zu leiten. Mr. Jackson hat ganz recht, das würde das Kind unnötig gefährden.«
Die Antwort kam mir zu rasch, die rechte Augenbraue des Kriminalrats hob sich unmerklich, ich bildete mir ein, der Blick, mit dem er mich ansah, war beschwörend.
Was dachte er wirklich? Ich mußte unbedingt unter vier Augen mit ihm sprechen.
»Und ich bin der Meinung«, fuhr Herr Baumer fort, »daß wir alle heute nichts Vernünftiges mehr ausrichten können. Ich für meine Person gehe schlafen. Ich will noch abwarten, wie die Operation an Amigo verläuft. Inzwischen werde ich mir ein paar Dezi Wein genehmigen. Ich gehe zu Jonny.«
»Na, der hat die Ruhe weg«, murmelte Annabelle, als er gegangen war.
»Ich glaube, er hat recht«, sagte ich. »Wir können im Moment wirklich nichts tun. Und dann, du darfst nicht vergessen, der Mann ist natürlich abgehärtet. Der Umgang mit Verbrechern war lebenslang sein Beruf.«
Von Wachtmeister Schnyder konnte man nicht sagen, daß er abgehärtet sei, aber er hatte schließlich auch kaum mit echten Verbrechen zu tun gehabt. »So etwas muß hier passieren, hier bei uns in Wilberg.« Und dann, als Steigerung, fügte er mit erhobener Stimme hinzu: »Bei uns in der Schweiz.«
Jetzt erschien ein neuer Gast auf der Bildfläche: Tante Hille. Sie kam von draußen herein in einem grauen Lodenmantel, musterte uns alle der Reihe nach streng, betrachtete verwundert den immer noch reglosen Amigo und wandte sich dann mit erhobener, leicht drohender Stimme an mich: »Was geht hier eigentlich vor?«
Ich sammelte meine müden Knochen, stand auf und trat zu ihr. Sie kam mir gerade recht.
»Was läufst du denn hier mitten in der Nacht herum? Du solltest längst im Bett liegen. Komm, ich bringe dich hinüber und werde dir alles erklären …«
Sie versuchte meine Hand abzuschütteln, aber ich hielt sie eisern am Arm fest. »Ich bringe dich heim und erzähle dir alles. Ich muß mir sofort was Trockenes anziehen. Sonst hole ich mir den Tod.«
Das gab den Ausschlag. Ihre Besorgnis um mich war größer als ihre Neugier. Sie folgte mir willig nach draußen.
Ich erzählte kurz auf dem kleinen Stück zum Gutzwiller-Haus, was vor sich gegangen war. Aber ich hörte mir Tante Hilles entsetzten und empörten Kommentar nicht an, schob sie zur Haustür hinein:
»Ich muß schnell noch mal weg.«
»Ich denke, du willst dich umziehen?«
»Gleich. Ich komme gleich zurück. Es darf aber keiner merken, daß ich nicht hier bin. Verstehst du?«
Ich ließ eine fassungslose Tante Hille auf der Türschwelle stehen und raste den Weg zurück – das konnte ich schon wieder – die Treppe hinab zu den Ställen, am Tennisplatz vorbei, durch den dunklen Park – zum wievielten Male heute schon? – und durch den Rosengarten und über die Terrasse zum Schloß zurück. Das hört sich so einfach an, aber es ist ein ganz schönes Stück Weg. Als ich glücklich auf der regenfeuchten Terrasse war und mich an die Fenster vor der Bar drückte, keuchte ich. Der Weg durch den dunklen Park hatte mir ein wenig Bange gemacht, ich geniere mich nicht, es zuzugeben.
In der Bar waren kaum mehr Gäste, und glücklicherweise hatte Jonny eine der großen Türen zur Terrasse geöffnet, um zu lüften. Offenbar hatte Kriminalrat Baumer auf mich gewartet, er saß ganz nahe an der offenen Tür, ich brauchte mich nicht bemerkbar zu machen, er schien es zu spüren, daß ich da war.
Die Zigarre in der Hand, trat er langsam unter die Tür, so als wolle er Luft schöpfen, sagte über die Schulter zu Jonny:
»Na, der Regen hat aufgehört, herrliche Luft draußen«, und kam damit
Weitere Kostenlose Bücher