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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
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und der schon reichlich mitgenommen aussah, denn er hatte immer versucht, ihn herunterzukratzen, wurde von einem Spezialpflaster abgelöst, das ihm ein ausgesprochenes verwegenes Aussehen gab. Da die Haare um die Wunde herum rasiert worden waren, hatte er teilweise einen Kahlkopf, was nicht unbedingt seine Schönheit vergrößerte. Aber ein Charakterkopf war und blieb er in jedem Fall. Er ging jetzt schon ganz vergnügt im Garten spazieren und entwickelte einen sagenhaften Appetit. Und vor allem – er fühlte sich bei uns ganz zu Hause. Keine Rede davon, daß er weglaufen wollte. Nur manchmal stand er an der Einfahrt, dort wo die Straße mündete, sah den vorbeifahrenden Autos nach, blickte nach rechts, nach links, und dann bildete ich mir ein, einen suchenden Ausdruck in seinem Gesicht zu entdecken. Schade, daß er nicht reden konnte. Es hätte mich interessiert zu erfahren, ob er sich an die Ereignisse des Sonntags erinnerte. Ob er sich überhaupt an etwas erinnerte. Es war ja auch durchaus möglich, daß der Schlag auf den Kopf ihm jede Erinnerung geraubt hatte. So etwas gab es ja sogar bei Menschen.
    Nun – darüber wurde ich am nächsten Tag belehrt. Da vermißte ich Amigo nämlich im Garten. Ich hatte ihn hinausgelassen, das Wetter war wieder besser geworden, und als ich später nach ihm sehen wollte, war er nicht mehr da. Erst suchte ich ihn im Garten, dann auf der Straße, sagte traurig zu Tante Hille: »Jetzt ist er also doch weg«, worauf sie meinte: »Ich würde mal im Schloßpark nachsehen. Vielleicht sucht er dort nach René.«
    Also machte ich mich auf den Weg in den Schloßpark, durchforschte Amigos Lieblingsgebüsch, aber ich sah ihn nicht.
    Etwas ungewiß, wohin ich mich wenden sollte, verließ ich den Park durch den bewußten Durchschlupf und ging den Weg am See entlang. Und, man sollte es nicht für möglich halten, ich fand ihn unten am See, bei dem Gebüsch, das zu den Seerosen führte, wo er unruhig auf dem Boden herumschnüffelte und natürlich nichts mehr fand.
    Ich stand eine Weile ganz perplex und sah ihm zu. Er erinnerte sich also noch an die Entführung. Und er erinnerte sich an René.
    Als ich ihn anrief, kam er bereitwillig zu mir, setzte sich ins Gras und blickte zu mir auf, das Gesicht eifrig und wachsam, das schmutzige Pflaster auf dem halbkahlen Kopf.
    »Ja, ja«, sagte ich, »du bist ein kluger Hund. Ich habe es ja immer gesagt. Aber leider kannst du uns auch nicht helfen. René ist fort. Und keiner weiß wo. Die Welt ist groß, weißt du. Komm mit nach Hause. Du überanstrengst dich.«
    Er kam mit. Trabte neben mir her, als sei er zeit seines Lebens gewöhnt gewesen, einen Herrn zu haben. Er war auch wieder ganz froh, zu Hause zu sein. Schlapperte schnell eine Schüssel Wasser aus und legte sich dann mit einem Seufzer auf sein Lager. Ich kauerte mich zu ihm, streichelte ihn, murmelte ein paar dumme Worte, und plötzlich kam seine lange rosa Zunge und leckte einmal schnell über meine Hand. Wir waren Freunde geworden. Bloß der Dritte im Bunde, unser gemeinsamer Freund René, der fehlte uns noch.
    Am Freitagnachmittag kam der zweite Brief. Er lautete:
    Madame, Sie halten sich nicht an unsere Vereinbarungen. Weder von einer Verständigung der Presse noch von einer Mitarbeit der Polizei war die Rede. Es ist verwunderlich, daß Sie auf diese Art Ihren Sohn gefährden. René befindet sich wohl und wartet darauf Sie wiederzusehen. Nun, Madame, eine Chance für Sie: Morgen nachmittag, fünfzehn Uhr dreißig, in Zürich auf der Nordseite der Brücke, wo der Limmat den Züricher See verläßt. Erwarten Sie dort einen Wagen, der bei Ihnen anhalten und Ihnen einen Gruß von René bestellen wird. Übergeben Sie dem Fahrer eine handliche Tasche, in der sich eine Million Schweizer Franken in kleinen, gebrauchten Scheinen befindet. Die Scheine dürfen nicht fortlaufend numeriert sein. Sollten Sie Presse oder Polizei von der geplanten Übergabe des Geldes verständigen, werden Sie René nie wiedersehen. Es hat auch wenig Zweck, den Wagen zu verfolgen oder den Fahrer verhaften zu lassen. Es ist ein Bote, der keine Ahnung hat, worum es sich handelt, der das Ziel noch nicht kennt, wo er die Tasche abzuliefern hat, noch seinen Auftraggeber je gesehen hat.
    Kommen Sie selbst, Madame. Und kommen Sie allein. Denken Sie an Ihren Sohn!
    Soweit der Brief. Der erste hatte deutschen Text gehabt. Dieser war in einem eleganten Französisch abgefaßt. Aufgegeben war er in Genf.
    Ich erfuhr davon, als ich

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