Der Mond im See
und dann der See. – Nicht zu vergessen der See …
Wie fein man in ihm schwimmen konnte, wußte ich schließlich gut genug. Ob es übrigens noch die getrennten Badeanstalten gab? In meiner Kindheit hatte man das noch. Die hölzerne Badeanstalt für Männlein und ein hübsches Stück davon entfernt die für Weiblein. Das würden sich Sommergäste von heutzutage kaum bieten lassen.
Mich hatte es nie sehr bekümmert, denn als Knappe meiner Kleinen Prinzessin durfte ich immer vom Schloßpark aus baden. Vom Schloß hinunter zum See war es nur ein paar Minuten zu laufen, das Gelände senkte sich sacht, unter alten Bäumen ging es dahin, und unten am See gab es eine kleine Wiese, hier standen zwei hölzerne Zellen, verwittert von der Zeit, und hier zogen wir uns um, wenn wir nicht schon, wie meist, im Badeanzug den Weg hinabgelaufen waren. Annabelle, zart und schmal, mit ihrem zierlichen Kinderkörper, das blonde Haar im Laufen wehend, immer ein paar Schritte vor mir.
So. Wilberg lag hinter mir, die Straße führte näher an den See heran, aber immer noch erhöht über ihm, rechts neben mir wußte ich das große fruchtbare Stück Land, wo die Wilberger ihr Gemüse und ihre Obstbäume pflegten und hegten, von Wiesenwegen durchzogen, um erst direkt am See in Grasflächen und schließlich in das weidenbewachsene Ufer überzugehen.
Und nun also, da hatten wir es, keinerlei Verzögerung mehr, direkt vor mir, breit hingelagert am Straßenrand, das Gutzwiller-Haus. Ich hatte gedacht, es würde mir klein und unscheinbar vorkommen, wenn ich es wiedersah, es ging einem doch manchmal so mit Kindheitserinnerungen – aber keineswegs, es war groß und raumgreifend gebaut, es beanspruchte seinen Platz, es hatte viele Fenster, zu denen viele Zimmer gehörten, es hatte einen breiten, von der Zeit dunkel gebeizten Holzbalkon, der im ersten Stock um das Haus lief. Es war kein Häuschen, es war nicht mal ein Landhaus. Es war ein richtiges großes, ordentliches Haus für eine vielköpfige Familie, und ich fragte mich als erstes, als ich es jetzt wiedersah: Lieber Himmel, wer wohnt darin? Unmöglich kann es Tante Hille allein bewohnen.
Der Eingang befand sich hinten, an der Gartenseite. Die Einfahrt begann ein gutes Stück vor dem Haus und führte im sanften Bogen zwischen wohlgepflegten Rasenflächen, an deren Rändern wie früher Blumenrabatten angelegt waren, bis vor die Rückfront des Hauses.
Da hielt ich, da stand ich. Rechts vor mir die Haustür, nur angelehnt, wie ich sah, links vor mir der große, mit einem Blick nicht übersehbare Garten voller Blumen, Beete und Bäume. Alles wie früher.
Es gab also Dinge in der Welt, die änderten sich nicht. War gut, das zu wissen. Sogar der ausladende Haselnußstrauch, hochgewachsen wie ein Baum, dessen Zweige auf mich herabhingen, als ich da in meinem Wägelchen saß, war der alte geblieben. Bißchen größer noch war er geworden.
Ich blieb reglos sitzen. Und mein Herz klopfte. Sollte ich einfach ins Haus gehen? Erst mußte ich mich irgendwie bemerkbar machen. Vielleicht traf die arme alte Frau bei meinem Anblick der Schlag.
Da wurde die Haustür aufgestoßen. Unter einem Arm eine Schüssel, am anderen Arm einen Korb, trat eine kleine alte Frau zur Tür heraus, weißhaarig, verschrumpelt, aber recht hurtig und gewandt.
Das Gretli. Im Hause Gutzwiller bedienstet, solange ich dort gelebt hatte.
Sie sah mich, stieß einen schrillen Schrei aus.
»Sch' Wälterli!«
Ich sprang schnell aus dem Wagen, um sie gegebenenfalls in meinen Armen aufzufangen. Aber das war nicht nötig. Der Korb plumpste auf den Boden, die Schüssel wurde behutsam auf dem dort stehenden Gartentisch abgestellt, sie stemmte die Arme in die Seiten, rief: »Ja, Bueb, dasch'd nur grad da bischt.«
Ich streckte ihr die Hand hin, zu verwirrt, um etwas zu sagen, sie packte sie mit ihren beiden kleinen, aber festen Händen, drückte sie heftig, ließ mich dann stehen und stiefelte eilig an mir vorbei in den Garten hinaus. Und dabei schrie sie in höchster Lautstärke: »Der Bueb ischt da. Das Wälterli ischt gekommen.«
Hier nun möchte ich eine kleine Einschaltung machen. Ich sehe mich außerstande, alle auf den folgenden Seiten vorkommenden Dialoge so hinzuschreiben, wie sie gesprochen werden. Schwyzerdütsch ist bekanntlich eine ebenso klangvolle wie originelle und ausdrucksstarke Sprache. Geschrieben verliert sie an Reiz. Jedem Leser jedoch, der den Klang dieser prachtvollen Sprache im Ohr hat, sei es
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