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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
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genau ein halbes Jahr jünger.
    Jetzt so aus der Nähe betrachtet, sah man natürlich, daß sie älter geworden war, das Gesichtchen schien mir kleiner geworden, von Falten durchzogen und marmorblaß, das Haar schlohweiß. Aber wie gesagt, die Augen! Sie blickten auf mich wie früher, und ich war sicher, daß ihnen auch genausowenig wie damals entging.
    Offensichtlich machte ich aber keinen schlechten Eindruck auf Tante Hille. Während wir so ein bißchen plauderten – ich erzählte von meiner Fahrt, von München, erkundigte mich nach ihrer Gesundheit, was man eben so alles in der ersten Befangenheit des Wiedersehens daherredet –, hatte sie mich eingehend gemustert und war auch zu einem Ergebnis gekommen.
    »Du hast dich nicht schlecht herausgemacht«, sagte sie plötzlich befriedigt, »ein großes, starkes Mannsbild bist du geworden. Und ein recht hübscher Bursche. Bist du tüchtig in deinem Beruf?«
    »Ich denke, es geht so einigermaßen.«
    »Du siehst deinem Vater ähnlich. Das hat man früher gar nicht so gemerkt. Aber so hat er ausgesehen, als das Barbli sich damals in ihn verliebte. Gefällt's dir da in Indien?«
    »Es geht. Zwei Jahre bleibe ich noch, dann langt es mir.«
    »Was willst du dann tun?«
    Ich lachte. »Das weiß ich noch nicht. Vermutlich bei meiner Firma bleiben. Falls sich nicht etwas anderes findet, das mir besser gefällt.«
    »Heutzutage gibt es ja genügend Möglichkeiten in Deutschland, heißt es. Du könntest aber auch in der Schweiz arbeiten, wenn du willst.«
    »Könnte ich. Das werde ich dann schon sehen.«
    Wir sprachen noch ein bißchen von meinen Berufsaussichten, doch dann wollte sie plötzlich wissen, ob ich noch nicht ans Heiraten gedacht hätte.
    Nein, hätte ich nicht, sagte ich. Die Richtige wäre mir noch nicht begegnet.
    Das hat auch Zeit, meinte sie. Jung zu heiraten sei ein Unsinn, da käme doch nichts Gescheites dabei raus.
    Und dann erzählte sie mir ohne weiteren Übergang, daß sich Annabelle zur Zeit hier befände.
    »Hier? In Wilberg?« fragte ich, und ein kleiner Schreck durchzuckte mich.
    Sie nickte.
    »Mit ihrem Mann und den Kindern?«
    »Mit was für Kindern?«
    »Hat sie denn keine Kinder?«
    »Nein, Kinder hat sie nicht. Und Mann hat sie auch nicht mehr. Sie ist geschieden.«
    Darauf schob sie das Kinn ein bißchen vor, senkte die Lider etwas und betrachtete mich wie die Katze die Maus. Das kannte ich.
    »Ach!« sagte ich. Nichts weiter.
    Schweigen.
    »Erzähl!« sagte ich dann.
    »Was?« fragte sie scheinheilig.
    »Warum ist sie geschieden?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Natürlich wußte sie es. Soweit man so etwas wissen konnte. Es war halt nicht gutgegangen mit dieser Ehe, die Roger de Latour arrangiert hatte. Meine süße Annabelle war nicht glücklich geworden und hatte gelegentlich das Glück woanders gesucht. Dazu die ständigen Geldforderungen ihres Vaters an den Schwiegersohn. Eine Frau, die einen nicht liebt, und ein Schwiegervater, der ewig Schulden hat, da konnte der beste Mann sauer werden. Erst recht ein genau rechnender Fabrikant aus Winterthur.
    »Ihr Vater ist ja tot, hast du mir geschrieben«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Tante Hille. »An dem hat die Welt nicht viel verloren.«
    »Aber daß Annabelle geschieden ist, hast du mir nicht geschrieben.«
    »Habe ich nicht?«
    »Nein. Was macht sie denn jetzt?«
    »Nichts. Genau wie ihr Vater. Sie reist umher. Manchmal ist sie hier.«
    »Bei ihrer Stiefmutter?«
    »Bei Madame Hélène, ja. Das ist eine tüchtige Frau.«
    »Ja, ja, ich weiß«, sagte ich ungeduldig. »Das war sie ja schon immer. Sie lebt noch hier? Ganz allein in dem riesigen Schloß? Ohne reichen Schwiegersohn? Wie macht sie das?«
    »Wie sie das macht? Sie verdient einen Haufen Geld. Eine tüchtige Frau. Da, schau hinaus!«
    Tante Hille wies auf die Straße, die vor dem Fenster vorbeiführte. Eben fuhr ein großer amerikanischer Wagen vorbei, besetzt mit zwei Leuten. Und gleich dahinter kam ein Mercedes mit vier Insassen.
    »Alles Gäste vom Schloß.«
    »Gäste vom Schloß?«
    »Ein Hotel hat sie daraus gemacht. Schloßhotel Wilberg. Vier Sterne hat sie, einen französischen Koch und lauter italienische Kellner. Vom April bis Oktober ist sie ausverkauft.«
    Das waren Neuigkeiten. Mir blieb die Spucke weg. Hélène de Latour, die resolute Hotelierstochter aus Zürich. Sie hatte die morschen Latours überspielt und ausgebootet. Der alte Wilberger hätte vermutlich seine Freude daran gehabt.
    »Hat das der Graf noch

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