Der Mond im See
sind. Sie gehen im Schloßpark spazieren, du mußt mal sehen, wie schön der Park geworden ist, sie hat ihn ganz umgestaltet. Und dann baden sie unten im See, du hast doch früher auch da gebadet.«
»Natürlich. Ich hab' da gebadet.«
»Na, siehst du. Die Leute wollen heute alle baden. Und ich hab' mir erzählen lassen, wo sie sonst auch hinfahren, überall ist es voll. Aber hier können nicht mehr Leute hin, als im Schloß wohnen können. Mehr schwimmen nicht unten im See, und mehr sitzen nicht im Strandbad. Nur die Hotelgäste dürfen da baden. Passanten müssen nach Tengern fahren, da ist ja ein öffentliches Bad.«
Tengern hieß der nächste Ort am See.
»Sie hat vorgehabt, diesen Sommer auch dieses Wasserskifahren hier einzuführen. Das haben die Gäste auch sehr gern, heißt es. Aber sie streitet noch deswegen mit den Bauern. Und den Fischern. Die sagen, die Fische werden scheu gemacht von dem Krach. Und der Gemeinderat will keine Motorboote auf dem See erlauben. Aber bis zum nächsten Sommer hat sie das auch geschafft.«
Eines erkannte ich immerhin deutlich: Tante Hilles ganze Sympathien waren auf Seiten der tüchtigen Madame Hélène. Nicht das Hotel, nicht die Fremden im Ort und nicht mal der Krach von Motorbooten auf dem See störten sie angesichts der geldverdienenden Tüchtigkeit der Schloßherrin.
Und dann erfuhr ich noch etwas, was mich restlos verblüffte.
Tante Hille partizipierte an diesem aufblühenden Tourismus. Sie nahm ebenfalls Gäste auf.
»Du?«
»Freilich.«
»Hier im Hause?«
»Wo denn sonst? Steht ja oben alles leer. Grad das eine Zimmer, in dem ich schlafe, wird benützt. Und wenn sie drüben ausverkauft sind und es kommen welche, dann schickt die Madame sie zu mir. Drei Zimmer kann ich oben vermieten, wenn ich will. Ein Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer. Bad ist auch da. Vorigen Sommer hatte ich sechs Wochen Leute hier, die haben alles zusammen gemietet. Als Appartement. Und im August kommen sie wieder, weil's ihnen so gut gefallen hat.«
Sommergäste im Gutzwiller-Haus. Wenn das der Großvater wüßte! Ich wunderte mich, daß er seiner unbotmäßigen Schwester noch nicht als Geist erschienen war.
»Du bist geldgierig, Tante Hille«, sagte ich traurig.
»Ha, warum soll man nicht ein paar Fränkli verdienen, wenn man kann?« fragte sie unschuldig.
»Aber es macht doch furchtbar viel Arbeit. Hast du denn noch Personal außer dem Gretli?«
»Wozu denn? Das Gretli muß gerade die Zimmer aufräumen und die Betten machen, weiter macht sie nichts. Sie hat sowieso den ganzen Tag nichts zu tun. Essen tun die Leute im Schloß. Auch schon frühstücken. Und mit der Abrechnung habe ich auch nichts zu tun. Das machen sie alles an der Rezeption drüben im Schloß. Dort bezahlen die Leute ihre Rechnungen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Dann kann ich wohl gar nicht hier wohnen?«
»Natürlich kannst du hier wohnen. Momentan habe ich nur ein Ehepaar hier. Wir haben dir das Zimmer von deiner Maman vorbereitet. Da kannst du wohnen, solange du willst. Und wenn der Kerl nicht wieder auftaucht, dann gehe ich sowieso zur Polizei, das habe ich der Madame schon gesagt.«
Diesem Gedankensprung konnte ich nicht ganz folgen.
»Was für ein Kerl?«
»Na, der zuvor darin gewohnt hat. Dieser komische junge Mann. Ich habe der Madame gleich gesagt, das ist kein Gast für das Schloßhotel. So etwas muß sie gar nicht aufnehmen. Und da haben wir es ja auch erlebt.«
Es dauerte eine Weile, bis ich die Geschichte zusammen hatte. Es war so: Vor zirka zehn Tagen war ein etwas dicklicher junger Mann im Schloßhotel aufgetaucht, ohne Voranmeldung noch dazu, und hatte ein Zimmer begehrt. Da es gerade kurz vor Pfingsten war, konnte man ihn nicht unterbringen. Madame de Latour schickte ihn zu Tante Hille, die das Doppelzimmer, das schönste gleich neben dem Bad – Mamans früheres Zimmer –, noch frei hatte. Der junge Mann erklärte sich bereit, den erhöhten Preis für ein Doppelzimmer zu zahlen. Er hatte Tante Hille, wie sie immer wieder betonte, gleich nicht gefallen. So öliges schwarzes Haar, und viel zu dick für sein Alter, aufgeschwemmt und weiß im Gesicht. Sonst aber hatte er keinen Grund zur Beanstandung gegeben. Er war nett und höflich, fiel niemandem auf die Nerven, hielt sein Zimmer ordentlich, nahm die Mahlzeiten im Schloß, wie es sich gehörte.
»Einmal, sagte das Gretli, hätten sie gestritten da oben. Da hat er Besuch gehabt. Ein Mann war's, das Gretli hat ihn gesehen, wie er weg ist.
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