Der Mond im See
Schwarzbraunen.
»Den kann keiner reiten.«
»Nanu? Warum denn nicht?«
»Der ist zu wild. Die gnädige Frau versucht es ja manchmal, aber sie meint, es gehöre ein Mann drauf. Er hat ihrem Vater gehört.«
»Aha. Wie heißt er denn?«
»Bojar.«
Ich trat wieder vor die Box und sagte leise: »Bojar! So wild bist du. So bös? Hast du deinen Herrn nicht vergessen? Bojar!«
Er legte wieder die Ohren an, aber wenigstens schnappte er nicht. Wir blickten uns eine Weile ernsthaft gegenseitig an. Nein, ein Pferd für eine Frau war das gewiß nicht.
»Und Sie?« fragte ich.
»Was ich?«
»Können Sie ihn auch nicht reiten?«
»Ich kann überhaupt nicht reiten.«
Ich schwieg verblüfft. Er konnte überhaupt nicht reiten. Hatte ich doch recht gehabt, daß dieser Junge alles andere war als ein professioneller Pferdepfleger. Und wer kümmerte sich um die Pferde, wer bewegte sie?
Jeannot schien keine Lust zu einem weiteren Gespräch zu haben. Er hatte der Stute inzwischen Hafer eingeschüttet, und jetzt ging er aus dem Stall, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Leise vor sich hinpfeifend stieg er die kleine Treppe hinter den Ställen hinauf zum Schloßhof.
Hoffentlich vergißt er nicht, die Pferde zu tränken, dachte ich. Er scheint nicht viel Interesse an ihnen zu haben.
Auf jeden Fall wußte ich jetzt, worüber ich mit Annabelle zuerst sprechen würde, wenn wir uns wiedersahen. Über die komischen Zustände in ihrem Pferdestall.
»Auf Wiedersehen, Bojar«, sagte ich leise. Ich streckte vorsichtig die Hand aus, ganz langsam, und strich ihm über die Nüstern. Er hielt still. »Ich habe leider keinen Zucker einstecken. Morgen bringe ich welchen mit.« Doch auch dieses Versprechen schien ihn nicht freundlicher zu stimmen. Plötzlich schnappte er mit großen gelben Zähnen nach mir, ich konnte gerade noch die Hand zurückziehen.
»Schäm dich«, sagte ich. »Das ist kein Benehmen für ein Schloßhotel-Pferd.«
Vor dem Stall blieb ich eine Weile überlegend stehen. Auch die Treppe hinauf? Oder denselben Weg zurück, den ich gekommen war? Das war wohl besser. Langsam wurde es Zeit, daß ich nach Hause kam, sicher bereitete man mir zu Ehren ein bemerkenswertes Nachtmahl vor. Doch dann, wieder auf dem Uferweg angelangt, ging ich nicht zurück, sondern tiefer in den Park hinein. Die Tennisspieler hatten ihr Match beendet, ich hörte, wie sie sich in einer halben Stunde zum Aperitif verabredeten. Sonst begegnete mir auf meinem Weg durch den Park nur ein einsamer älterer Herr. Wir grüßten einander höflich.
Die Sonne war über den Hügel gerutscht, es wurde kühler. Das Strandbad lag verlassen da. Eine gepflegte Anlage war das geworden. Wirklich, diese Hotelgäste hier lebten nicht schlecht.
Doch dann sah ich, daß doch noch jemand hier war. Auf den Steinstufen, die ins Wasser führten, saß ein Kind. Ein kleiner Junge. Und neben dem kleinen Jungen, dicht an ihn geschmiegt, saß ein großer grauer Hund. Der Junge hatte den Arm um das Tier gelegt, beide blickten sie auf den See hinaus. Beide waren einander herzlich zugetan, das konnte man sogar von hinten sehen.
Als ich näher kam, entdeckte ich noch etwas anderes. Neben dem Kind lagen zwei kleine Krücken.
»Hallo«, sagte ich halblaut, als ich die beiden beinahe erreicht hatte. Ich wollte sie nicht erschrecken. Der Rasen hatte meine Schritte verschluckt.
Sie sahen sich um, das Kind ganz ruhig und ohne Erstaunen, der Hund dagegen mit gespitzten Ohren und einem kleinen Knurren.
»Hallo«, antwortete der Junge. Er blickte ernsthaft zu mir auf. Er hatte ein blasses, kleines Gesicht, edel geformt, von geradezu engelhafter Schönheit, nachdenkliche Augen und weiches dunkles Haar.
Der Hund knurrte lauter und zeigte ein wenig die Zähne.
Heute hatte ich kein Glück mit Tieren, sie begegneten mir alle mit Mißtrauen.
»Sei still, Amigo«, sagte der Junge.
Im Umgang mit Kindern hatte ich wenig Erfahrung. »Ein schöner Abend«, sagte ich etwas lahm. »Darf ich mich ein bißchen zu euch setzen?«
Der Junge nickte.
Ich schob behutsam die Krücken etwas zurück und setzte mich. Brauchte der Junge diese Krücken etwa? Ich warf einen vorsichtigen Blick auf seine Beine, die mir ganz normal vorkamen. Ein bißchen dünn vielleicht.
»Ich habe einen Autounfall gehabt«, sagte der Junge, dem mein Blick offenbar nicht entgangen war. »Aber es geht mir schon viel besser. Meine Beine sind noch etwas schwach. Sie waren gebrochen.«
»Alle beide?« fragte ich.
»Ja. Alle
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