Der Mond im See
zufällig gesehen. Sie war ja soweit ganz niedlich.«
»Doch«, sagte ich, »ganz niedlich. Und was hat er sonst gemacht?«
»Keine Ahnung. Er hatte auch Pech mit dem Wetter. Es regnete fünf Tage lang und war ziemlich kühl. Einmal, als er hier bei mir saß, schimpfte er furchtbar auf das Klima. Viel schöner sei es dagegen in Locarno und in Ascona. Immer Sonnenschein und so nette Leute. Viel Betrieb.«
»Er hätte besser daran getan, dorthinzufahren«, meinte ich, »nicht nur wegen der Sonne. Hier hat er jedenfalls nicht nur nette Leute getroffen.«
Jonny lachte. »Das kann man wohl sagen. Armer Kerl! Noch einen?«
Ich nickte. »Ja. Geben Sie mir noch einen. Und dann hätte ich noch eine Bitte an Sie.«
Er zog fragend die Brauen hoch, und ich erklärte ihm die Sache mit Amigo, und ob er nicht vielleicht in die Küche gehen und ein großes Paket Futter herausholen könne.
»Da schicken wir Emilio«, sagte er. »Er ist in der Küche gut angeschrieben.«
Emilio war ein stupsnäsiger Kellnerlehrling von vielleicht fünfzehn Jahren, sehr aufgeweckt und dienstbereit. Er kam nach wenigen Minuten wieder mit einem vielversprechenden Tragbeutel. »Ecco, Signore«, sagte er und überreichte mir das Paket mit einer artigen Verbeugung.
Ich gab ihm zwei Fränkli und sagte: »Das machen wir jetzt jeden Abend. Wenn ich nicht da bin, kannst du das Paket bei Jonny abgeben.«
»Sag mal, Emilio«, meinte Jonny, »du hast doch Signor Bondy auch gekannt. Saß er nicht in eurem Revier?«
»Si, Signore. An kleine Tisch neben die Tür. Kein guter Tisch, aber für Gast allein es immer gibt schlechten Tisch.«
»Heiter«, sagte ich. »Ich bin auch meist Gast allein. Man kann doch nicht extra heiraten, bloß daß ihr einen anständig placiert.«
»Man muß nicht gleich heiraten«, sagte Jonny, »eine Freundin tut es auch. Und je geschickter sie ist, um so besser der Platz im Restaurant. So ist das Leben nun mal.«
Emilio nickte eifrig.
»Wie war denn Signor Bondy?« fragte Jonny. »Gab er gute Trinkgelder?«
»Serr gut. Viel Trinkgeld. Und er sprechen italiano.«
Er hat also Italienisch gesprochen. Französisch vermutlich auch. Aber das taten viele Leute hierzulande.
Eine Weile später verließ ich die Bar, ging über die Terrasse, durch den Rosengarten und dann die Stufen hinunter zum unteren Teil des Schloßparks.
Hier traf ich wieder den einsamen älteren Herrn, den ich bereits am ersten Abend getroffen hatte. Ich grüßte, er grüßte ebenfalls und blieb stehen.
»Das ist ja eine scheußliche Geschichte«, sagte er ohne Einleitung. Und ich blickte ihn überrascht an. Er wußte demnach Bescheid.
»Ja«, erwiderte ich zurückhaltend. »Eine verdammt scheußliche Geschichte.«
»Sie sind doch der Herr, der drüben in dem Haus wohnt, nicht wahr?«
»Sehr richtig. Ich gehöre dort zur Familie.«
»Eine unangenehme Sache. Und man weiß noch gar nicht …«
»Darf ich fragen, wer sie über den Fall informiert hat? Soviel ich weiß, wollte man, um Aufsehen zu vermeiden, alles geheimhalten.«
»Von mir erfährt niemand etwas. Ich hörte es von Herrn Kugler. Er und seine Frau waren furchtbar aufgeregt. Sie kamen, um sich zu verabschieden. Sie sind ja vor einer halben Stunde abgereist.«
»Ah so! Sie kannten Herrn und Frau Kugler?«
»Flüchtig. Wir haben uns einige Male hier unterhalten. Sie kamen aus Frankfurt, genau wie ich.«
»Aha. Da werden es ja andere Gäste im Hotel auch erfahren haben.«
»Das glaube ich nicht. Die Kuglers waren noch so verstört, sie haben gewiß nicht weiter darüber gesprochen.«
»Ich verstehe gut, daß sie nicht länger hierbleiben wollten. Aber ich wundere mich, daß die Polizei sie so einfach abreisen ließ.«
»Sie fuhren heute nur in die Kantonshauptstadt, mit Genehmigung des Kommissärs, wie mir Herr Kugler sagte. Sie werden dort im Hotel übernachten und, falls es gewünscht wird, der Polizei morgen noch einmal zur Verfügung stehen.«
Der alte Herr war bemerkenswert gut unterrichtet. Aber er wollte offensichtlich noch mehr wissen. Er blickte mich an, räusperte sich und sagte: »Tja. Es stimmt doch, Sie haben – äh, den Toten gefunden?«
»Ja. Leider.«
»Wie war denn – ich meine, Sie würden mir das nicht einmal kurz erzählen?« Und auf meinen erstaunten Blick hin machte er eine Verbeugung und fügte hinzu: »Baumer. Kriminalrat a.D.«
»Ach so«, sagte ich. »Sie sind gewissermaßen beruflich interessiert.«
»Eigentlich brauche ich das nicht mehr zu sein. Aber wie
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