Der Mond im See
ein Gewehr im Haus.«
Sicher das von Großpapa. Wenn überhaupt ging es höchstens nach hinten los.
»Du kannst ganz beruhigt sein«, sagte ich. »Wenn einer darauf aus wäre, die Bewohner des Gutzwiller-Hauses zu ermorden, hätte er das längst besorgen können. Heute wird er es wohl bleibenlassen. Meiner Meinung nach ist der Mörder längst über alle Berge. Aber wenn du willst, dann bleibe ich auch hier.«
»Wozu denn?« rief Tante Hille mit Nachdruck. »Geh nur ein bißchen hinaus, das wird dir guttun.«
Ich rief zunächst einmal bei dem Ruedi an und erfuhr, daß ich getrost kommen solle. Aber besser erst in einer Stunde, denn durch die Ereignisse des Nachmittags war der Herr Doktor mit seiner Sprechstunde und den Besuchen in Verzug geraten und hatte noch keinen Feierabend.
Ich zog mir also die Jacke an und spazierte zunächst einmal – na, wohin schon? – zum Schloß hinüber. Vielleicht bekam ich Annabelle noch zu sehen.
Ich war verärgert. So schön hatte der Urlaub begonnen. Und ich war so glücklich gewesen. Und dann mußte einem so etwas Häßliches über den Weg laufen. Es kam mir immer noch ganz unwahrscheinlich vor, wie ein widerwärtiger Traum. Ein Mord im Gutzwiller-Haus! Das paßte einfach nicht hierher, das war ein Stilbruch. Auch wenn mich dieser Herr Bondy gar nichts anging, ich hatte ihn ja nicht einmal als Lebenden gesehen, so verfolgte mich jetzt doch das Bild des Toten in lästiger Weise. Kein schönes Bild. Ich gab mir alle Mühe, nicht mehr daran zu denken. Sah mich um, ließ meine Blicke über die Hügel und den See schweifen, betrachtete lange und ausführlich den Mond, der fast gerundet, nun schon mitten über dem See hing. Was für ein stilles, friedliches Bild! Das war die Wirklichkeit. Der Tote im Apfelkammerli mußte ein böser Traum gewesen sein.
Die Halle des Schloßhotels war leer, die Rezeption verwaist. Die Gäste speisten, teils im Restaurant, teils auf der Terrasse. Sie machten einen friedlichen, fröhlichen Eindruck wie immer. Offensichtlich war das Gerücht von einem Mord noch nicht zu ihnen gedrungen. Auf Bitten von Madame de Latour war die Untersuchung sehr diskret geführt, und alle Beteiligten waren zu Stillschweigen verpflichtet worden. Wie lange das gut gehen würde, war eine andere Frage. Irgendwie war die fatale Geschichte doch durchgesickert, dazu wußten schon zu viele Leute darüber Bescheid.
Ich sah weder Madame Hélène noch Annabelle. Weder Renate noch René. Nun, Renate würde von Annabelle die Sache erfahren haben. Und man vermied es wohl, den Jungen heute aus seinem Zimmer zu lassen, aus Furcht, er möge etwas hören. Das war viel besser so für ihn, es würde ihn nur unnötig aufregen.
Bei der Gelegenheit fiel mir auch Amigo ein. Ich hatte wieder kein Futter für ihn. Ob ich mir mal den Weg in die Küche suchte? Aber dort kannte man mich nicht und würde mich vermutlich hinauswerfen. Schließlich landete ich bei Jonny, setzte mich zu ihm an die Bar und ließ mir einen doppelten Whisky einschenken.
»Gegen Kasse heute«, sagte ich. »Irgendwie muß ich mein Geld schließlich loswerden. Trinken Sie auch einen mit?«
»Ein Bier, wenn Sie gestatten«, meinte Jonny höflich. Und dann unterhielten wir uns über den Mord, über den Jonny von Madame persönlich informiert worden war.
»Ich kannte Monsieur Bondy gut«, erzählte Jonny. »Er kam jeden Abend in die Bar. Erst vor dem Essen zum Aperitif, und dann später, bis er zu Bett ging. Vor dem Essen trank er Whisky, später immer eine Flasche Champagner.«
»Jeden Abend?«
»Jeden Abend.«
»Und wie war er?«
»Nun«, Jonny hob die Schulter, »wie soll man das nennen? Verdrossen, würde ich sagen. Schlechter Laune. Ich hatte nicht den Eindruck, daß es ihm hier besonders gut gefiel. Er schien sich zu langweilen. Es ist ja auch nicht viel los. Und für einen jungen Mann, der allein ist, gibt es wirklich kaum Möglichkeiten, sich zu unterhalten. Die Damen, die hierherkommen, sind eigentlich stets in Begleitung. Er hätte vielleicht ganz gern ein bißchen Gesellschaft gehabt.«
»Aber warum ist er dann überhaupt hierhergekommen?«
»Vielleicht hat er einen Prospekt gesehen oder ein Inserat. Wir waren Pfingsten ausverkauft. Leute waren genug da. Aber wie gesagt, keine alleinstehenden Mädchen, darum hat er sich wohl auch mit der Krankenschwester abgegeben.«
»Mit der Krankenschwester?«
»Ja, die zu dem kranken Jungen gehört. Mit der ging er einige Male abends spazieren, das habe ich
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