Der Mond im See
das so geht: Die Katze läßt das Mausen nicht.«
Ich erzählte also kurz und sachlich, wie sich alles abgespielt hatte. Der Herr Kriminalrat stand vor mir, blickte auf den Weg, manchmal auch scharf auf mich. Ich kam mir vor wie bei einem Verhör. Langsam hatte ich genug davon.
»Die Verletzung rührte von einem Schlag her?«
»Das stellte der Arzt fest. Aber der Tod scheint nicht durch diese Verletzung eingetreten zu sein, sondern durch Erwürgen.«
»Aha. Dann hat man das Opfer erst durch einen Schlag betäubt und dann erwürgt. Anzunehmen, daß der Täter ein Mann ist.«
»Meinen Sie?«
»Ja. Eine Frau müßte außergewöhnlich kräftig sein, wenn sie das allein zustande brächte. Obwohl man natürlich heutzutage im Zeitalter der sportgestählten Frau manche Überraschung erleben kann. Vergessen Sie auch nicht, daß der Täter die Leiche ja noch in die Kammer transportiert hat.«
»Das ist kein weiter Weg.«
»So. Aha.« Er blickte mich intensiv an, und obwohl er nichts sagte, wußte ich genau, welche Frage ihm auf der Seele brannte.
»Wenn Sie mögen, kommen Sie doch morgen einmal herüber zu uns. Ich zeige Ihnen gerne alles.«
Seine Augen leuchteten geradezu auf. »Danke, vielen Dank. Das ist außerordentlich nett von Ihnen. Na, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Ich glaube, es wird auch Zeit, daß ich zum Abendessen gehe. – Wann würde es Ihnen passen? Morgen früh?«
»Ja. Wenn ich vom Reiten zurück bin. So gegen zehn vielleicht.«
»Sehr schön. Nochmals Dank. Sie reiten? Das ist ein schöner Sport. Habe ich früher auch einmal getan. Also dann, guten Abend!«
Ich blickte dem alten Herrn nach, wie er beschwingt die Stufen zum Rosengarten hinaufstieg. Sein Urlaub bekam offenbar erst die richtige Würze, nachdem hier ein Mord passiert war. Ja, die Pensionierung war für manche Leute ein zweifelhaftes Vergnügen.
Ich schaute auf die Uhr. Noch ein bißchen Zeit, ehe ich zum Ruedi ging. Ich konnte ruhig noch hinunter zum See gehen.
Das Strandbad lag verlassen da. Schade, daß ich René nicht mehr gesehen hatte. Von Amigo zeigte sich auch keine Spur. Es war dämmrig, aber über dem Wasser war der Himmel noch hell. Und ganz klar. Das schöne Wetter würde wohl bis zum Vollmond reichen.
Nun ging ich am besten unten durch den Schloßpark und über das Gemüseland in den Ort hinein.
Von dem Weg, der unter den hohen Bäumen entlangführte, zweigten manchmal kleine Pfade ab, die zum Seeufer führten. Flüchtig warf ich jedesmal einen Blick hinein, vielleicht immer noch in Gedanken an den Hund. Plötzlich blieb ich stehen. Beim dritten Pfad hatte ich draußen am See, deutlich sichtbar gegen den hellen Himmel, die Silhouette eines Menschen gesehen. Ich ging einen Schritt zurück und spähte noch einmal in den schmalen Weg, der wie ein kleiner Tunnel zwischen den Büschen hinausführte. Nichts. Hatte ich mich getäuscht? Sah ich am Ende schon Gespenster? Im Moment war mir direkt ein bißchen gruselig zumute. Man findet nicht ungestraft an friedlichen Nachmittagen ermordete Leichen. So etwas hinterläßt seine Spuren im Nervenkostüm.
Dann aber nahm ich allen Mut zusammen und ging leise auf dem kleinen Weg zum Ufer hinab. Zwischen den letzten Büschen blieb ich überrascht stehen. Auf dem kleinen Uferfleck, der mit Gras bewachsen war, lag ein umgekipptes Ruderboot. Und auf dem Boot saß eine Frau, die sich gerade eine Zigarette anzündete. Ilona, die Hotelsekretärin.
»Guten Abend«, sagte ich.
Sie fuhr mit einem leisen Aufschrei herum und machte ein so entsetztes Gesicht, als sei der Teufel persönlich dem Park entstiegen.
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe«, sagte ich.
»Das haben Sie wirklich.«
»Und warum? Was ist an mir so furchterregend?«
»Ach nichts. Aber nach allem, was heute passiert ist – da ist man irgendwie nervös.«
Stimmt. Das hatte ich gerade auch festgestellt. Aber das gab ich natürlich nicht zu. Statt dessen sagte ich: »Wenn Sie Angst haben, sollten Sie nicht abends hier herumlaufen.«
»Ich bin albern«, sagte sie unwillig. »Ich bin bis jetzt jeden Abend hier allein spazierengegangen. Und habe nie Angst gehabt. Schließlich hat sich nichts verändert.«
»Eben doch. Es ist nicht wahrscheinlich, aber immerhin möglich, daß ein Mörder hier irgendwo herumläuft.«
Ich setzte mich neben die junge Dame auf das Ruderboot, und sie sah mich ängstlich an.
»Denken Sie das wirklich?«
»Es könnte sein. Aber wahrscheinlicher ist es, daß er das Weite
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