Der Mond im See
Dort mußte er stehenbleiben, erfuhr ich, in der Nähe der Tennisplätze, und Dorette würde den Hausdiener holen, der erst René und später den Rollstuhl hinaufbefördern würde.
»Ich trage René schon hinauf«, sagte ich.
»Aber nicht über die Terrasse«, meinte René. »Die Leute sollen mich nicht sehen.«
»Na, wenn schon«, sagte ich. »Aber bitte, wir gehen hier die kleine Treppe hinauf.«
»Können wir die Pferde noch besuchen?«
»Sicher.«
»Und ich muß Amigo auf Wiedersehen sagen.«
»Natürlich.«
Wir warteten, bis Dorette mit Decken und Kissen verschwunden war, dann lockten wir Amigo herbei, der uns natürlich bis hierher gefolgt war. Es war schon rührend mit den beiden.
Ich setzte mich auf eine Stufe, nahm René auf den Schoß, und siehe da, Amigo kam, obwohl ich noch dabei war. Er ließ sich von uns beiden streicheln.
»Gibst du ihm wieder etwas zu essen?« fragte René.
»Ich gehe gleich hinauf in die Bar und werde es dort bestellen.«
»In die Bar?«
»Das haben wir vereinbart, Jonny, Emilio und ich. Kennst du Emilio?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist ein netter Junge. Ein Piccolo, weißt du. Ich zeige dir ihn mal. Denkst du, dir wird morgen besser sein?«
»Ich weiß nicht.«
»Na, sieh mal. Wir müssen doch wieder Laufübungen machen, und Mami ist doch sicher traurig, wenn du krank bist.«
»Mami ist immer traurig«, sagte er leise. »Weil ich krank bin. Und weil Papi nicht da ist.«
»Hm«, machte ich. Mir war unbehaglich zumute. »Vielleicht kommt er euch mal besuchen.«
René schüttelte den Kopf. »Nein. Er kommt nicht. Mami will ihn nicht mehr sehen.«
»Hat sie das gesagt?«
»Ich habe es gehört, wie sie es zu Großmama gesagt hat. Aber, weißt du«, er flüsterte jetzt nahe an meinem Ohr, »ich habe meinen Papi gern. Er ist so lustig. Er lacht immer.« Und noch leiser: »Ich möchte gern wieder meinen Papi haben.«
Ach, du lieber Himmel! In was war ich da hineingeraten. Ich hatte mir immer eingebildet, ein hartgesottener Bursche zu sein. Und jetzt saß ich hier auf der Hintertreppe, einen kleinen kranken Jungen auf dem Schoß, und es fehlte nicht viel und ich hätte geheult.
Ich mußte mich mehrmals räuspern, ehe ich wieder reden konnte. »Na, vielleicht kommt er doch bald mal.«
René schüttelte den Kopf. »Es ist, weil er das Auto kaputtgemacht hat. Und ich war mit dabei. Darum ist Mami so böse.«
»Na ja«, sagte ich. Mehr fiel mir nicht ein. Wie gesagt, ich verstand nicht viel von Kindern. Und hier mußte einer schon Kinderpsychologe sein, um das rechte Wort zu finden. Oder eben – Vater. Oder eine Mutter.
Sollte ich mit der traurigen Renate reden? Aber was ging es mich eigentlich an?
Amigo saß bei uns, und auch er machte ein ganz kummervolles Gesicht.
»Nun sag Amigo gute Nacht. Wir müssen jetzt hinauf.«
Ich würde mit dem Ruedi sprechen. Auch wenn er mich auslachte. Schließlich war er Arzt. Er mußte doch eine Meinung zu diesem Fall haben.
Wir schauten noch bei den Pferden hinein, und zu Renés Entzücken fand sich auch Zucker in meinen Taschen. Ich erzählte ihm, wie sie heißen, und er meinte, er würde gern einmal zusehen, wenn ich ritt.
»Ich kann nie reiten«, sagte er traurig. »Mein Papi reitet auch.«
»Warum sollst du denn nicht reiten können? Wenn du wieder gesund bist. Du mußt nur sehen, daß du bald gesund und kräftig wirst. Jetzt ißt du zwei Tage Haferbrei, und dann, paß mal auf, gehen wir wieder spazieren.«
»Mit Amigo?«
»Natürlich.«
»Und du kommst auch mit?«
»Ich komme mit.«
Plötzlich schmiegte er ganz leicht seine Wange an meine.
»Ich kann dich gut leiden«, sagte er. »Fast wie meinen Papi.«
Ich schluckte und preßte ihn ein wenig an mich.
Kurz darauf landeten wir in der Hotelhalle. Dort warteten Dorette und der Hausdiener, dem ich René übergab.
»Schlaf gut«, sagte ich. »Und gute Besserung.«
»Gehst du noch mal mit mir zu den Seerosen?« fragte er.
»Gern. Du mußt bloß sagen, wann du willst. Und jetzt kümmere ich mich um Amigos Abendessen.«
Ich blieb allein in der Halle zurück. Nein, nicht allein, an der Rezeption war Ilona. Ich ging zu ihr und blieb dort stumm stehen. Auch sie sagte nichts.
Ich zündete mir eine Zigarette an und bot ihr die Schachtel.
Sie schüttelte den Kopf.
»Danke, nicht hier.«
»Es ist schlimm mit dem Kleinen. Geht mir nahe.«
Sie blickte mich prüfend an. »So?«
»Ja. Können Sie das nicht verstehen?«
»Doch. Ich kann es gut verstehen. Es muß
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