Der Mond im See
einem amerikanischen Film entsprungen, groß, breitschultrig, ein männlich-hübsches Gesicht, ein jungenhaftes Lachen und tadellose Manieren.
Sie tranken Champagner, und ich wurde dazu eingeladen. Zunächst redeten wir so ein bißchen hin und her. Annabelle wollte wissen, wo ich gewesen sei, wie der Ritt am Morgen abgelaufen sei, was es sonst Neues in meinem Leben gäbe. Sie war sehr munter, lachte viel und bedachte uns drei gleichmäßig mit einer Scheibe Flirt. Mir sollte es recht sein.
Freund Yves sprach wenig, beschränkte sich darauf, eine arrogante Miene zu machen und mich manchmal mit hochgezogenen Brauen zu mustern, wenn ich irgend etwas mehr oder weniger Gescheites von mir gab. Er irritierte mich ein wenig. Der Amerikaner war sehr nett, sprach ein drolliges, mit englischen Brocken untermischtes Französisch und zeigte sich außerdem von allem, was er sah und hörte, entzückt.
Ich meinerseits war nicht sehr gesprächig. Was Annabelle zu stören schien. Nach einiger Zeit kam sie zu der Ansicht, daß es für sie zu anstrengend sei, drei Männer zu unterhalten. Das war, nachdem sie mich gefragt hatte, was sich denn eigentlich in der Tüte befände.
»Abendessen für Amigo.«
»Ah so.«
»Hast du eine Ahnung, wie es René geht?«
»Immer noch nicht gut. Der Arzt war gerade vorhin noch mal da. Renate ist sehr beunruhigt.«
»Wo ist sie denn?«
»Wo soll sie denn schon sein? Oben natürlich. Ich habe ihr gesagt, sie soll ein bißchen herunterkommen. Sie wird ja restlos schwermütig. Möchtest du sie gern sehen?« Die Frage klang ein wenig spitz, aber ich antwortete mit einem ruhigen »Ja« darauf.
Sie ließ sich von Johnny das Telefon herreichen und rief Renate an. Sie redete eine Weile auf sie ein. Renate wollte offenbar nicht, schließlich sagte Annabelle: »Sei doch nicht albern. Wenn er jetzt doch schläft. Und deine Mutter ist ja oben. Walter ist hier. Er möchte dich unbedingt sehen. Du weißt doch, daß er dich anbetet.«
»So«, sagte sie mit einem spöttischen Blick auf mich und legte den Hörer auf. »Sie kommt gleich. Ich hoffe, du bist mit mir zufrieden.«
Ich sagte nichts darauf, sondern lächelte nur, hintergründig, wie ich hoffte. Yves hatte die eine Braue hochgezogen und musterte mich ironisch. Blöder Affe!
Wenn das Annabelles Geschmack war – also dann konnte ich ihr nicht gefallen, so viel war sicher.
Renate kam nach einer Viertelstunde. Sie trug ein schwarzes, ganz glattes, ganz einfaches Kleid, ärmellos und nur im Rücken etwas dekolletiert, und sah wunderschön aus. Blaß, ernst, mit schwermütigen Augen, aber wunderschön.
»Was ist eigentlich mit René los?« fragte ich sie, als sie neben mir saß.
Sie hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Wenn ich das nur wüßte! Er ist so still, und immer ist ihm übel. Und heute nachmittag hat er geweint. Ganz jämmerlich geweint.« Sie preßte die Lippen zusammen, und ich sah, daß sie mit den Tränen kämpfte, wenn sie an das Weinen ihres kleinen Jungen dachte.
»Entschuldigen Sie«, flüsterte sie. »Ich hätte nicht herunterkommen sollen. Ich bin einfach nicht in der Verfassung – warum ist das Kind so unglücklich? Ich verstehe es wirklich nicht.«
Annabelle und der Amerikaner tanzten. Yves saß zurückgelehnt, sah ihnen zu und rauchte.
»Ich verstehe es auch nicht«, sagte ich. »Als ich ihn kennenlernte, schien er mir doch ganz ausgeglichen zu sein. Sehr ernst für ein Kind seines Alters, aber das kommt wohl von der langen Krankheit.«
»Seine Psyche ist angegriffen«, flüsterte Renate, »glauben Sie mir, das ist es. Er war nie ein robustes Kind. Und wenn ein Kind wie er so lange krank ist und hilflos da liegt und sich nicht bewegen kann, das muß doch Spuren hinterlassen. O Gott, ich bin so verzweifelt.«
Ich faßte nach ihrer Hand. »Bitte, Renate, regen Sie sich nicht so auf. Damit machen Sie nichts besser. Ihr Kummer überträgt sich ja auf den Jungen. Sie müssen ihm ein fröhliches Gesicht zeigen.«
»Das versuche ich ja.«
»Komm, trinken Sie einen Schluck.« Sie hatte zur Begrüßung nur an dem Sektglas genippt, jetzt hielt ich es ihr hin, und sie trank gehorsam ein paar Schlucke. Ich hatte sie einfach Renate genannt, aber es schien ihr nichts auszumachen.
»Und jetzt erzählen Sie mir der Reihe nach, wie es heute war.«
Sie gab mir einen Bericht über den Verlauf des Tages. Vormittags war René im Bett geblieben, nachmittags im Rollstuhl spazierengefahren worden, nicht weit wegen des drohenden
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