Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Schwierigkeiten bereitete, waren die feuchte Hitze und ihr schmerzender Bauch. Alexanders Angaben zu dem Weg nach unten erwiesen sich als korrekt. Der Wald bot ebenso viele waagerecht und diagonal verlaufende Stämme und Äste, wie senkrechte. An mehreren Stellen fielen Verena Orte auf, an denen ein dicker Baum seine Wurzeln einfach um einen noch dickeren geschlungen hatte. Von diesem Haltepunkt aus wuchs er dann erst mal zur Seite, wo er an weiteren senkrechten Stämmen verwurzelt war. Auch die Wasserversorgung dieser Bäume blieb kein Geheimnis. Bald schon fiel den Mädchen auf, dass viele Blätter eine kelchartige Form angenommen hatten, um damit, wie es Verena schien, Regenwasser zu sammeln. Sie fragte sich, ob man daraus trinken konnte, doch fand sie in dem ersten Blatt, das sie untersuchte, Dreck, zuckende Mückenlarven und einen kleinen Färberfrosch. Das brachte sie zu der Vermutung, dass das Wasser in den Kelchen nicht allzu frisch war. Verena kletterte tiefer und entdeckte eine weitere Variante: Manche Gewächse wiesen statt verzweigten Würzelchen flache Schalen aus ihrem Wurzelmaterial auf. Eben kletterte sie an einer vorbei, die einen frei schwebenden Tümpel von zwei Meter Durchmesser bildete. Weiter unten meinte sie im Dämmerlicht noch größere, ähnliche Gebilde zu erkennen.
Nachdem sich Verena von den jüngeren Mädchen getrennt hatte, probierten sie noch eine Weile, sich durch Zurufe zu verständigen. Es zeichnete sich jedoch bald ab, dass Rufe und Pfiffe in diesem Wald nicht weit trugen, teils, weil sie vom Unterholz verschluckt wurden, teils weil sie von anderen Geräuschen wie Vogelschreien, dem Knacken von Ästen und so weiter übertönt und kaschiert wurden. Verena war, um ihre Gefährten nicht zu verlieren, darauf angewiesen sich beim Klettern nicht zu weit in der Waagerechten zu bewegen. Bald war sie alleine mit sich selbst.
Verena stellte erstaunt fest, dass sie Gefallen an diesem unglaublichen Wald fand, obgleich er ihr auf dem Weg hinab immer wieder aufs Neue bewies, wie lebensbedrohlich er in jeder Sekunde für sie war. Bald begann sie, erste Maßnahmen zu ergreifen, um sich das Leben einfacher zu machen. Zuerst band sie ihre Ärmel mit Lianen zu, um die Heimsuchung durch Unscharen von Moskitos von Teilen ihres Körpers abzuhalten. Wenigstens schienen die Biester nicht in der Lage zu sein durch den robusten Stoff des Judoanzuges zu stechen, nur durch die dünnere Hose kamen sie manchmal. Als Nächstes brach sie sich einen armlangen Stock, um ein primitives Werkzeug zu haben, mit dem sich Schlangen verscheuchen ließen. Davon gab es wirklich allzu viele. Verena hatte den Schrecken, Auge in Auge mit einer angreifenden Viper zu ringen, keineswegs vergessen oder bewältigt. Sie machte aber die Erfahrung, dass die meisten dieser Tiere eher scheu waren und sich leicht vertreiben oder umgehen ließen, vorausgesetzt, dass man sie rechtzeitig bemerkte.
Sie stieg tiefer hinab, und die Dunkelheit nahm zu. Sie musste nun einsehen, dass ihre Maßnahmen unzureichend waren. Mittlerweile kletterte sie nicht mehr über dicke Äste, sondern zwängte sich fast nur noch zwischen maximal armdicken Wurzeln, die ein nahezu undurchdringliches Geflecht bildeten. Dabei kam es zu mehreren Beinaheunfällen nicht nur mit Schlangen, sondern auch mit Skorpionen und Spinnen. Was sie von dem anderen Getier zu halten hatte, wusste Verena nicht, auch wenn sie die zahllosen bunten Schnecken und Krebstierchen für eher harmlos hielt und die Frösche und Eidechsen ihr nicht allzu bedrohlich vorkamen. Sie musste sich besser schützen, sonst würde das unweigerlich nicht mehr lange gut gehen. Erschöpft ließ sie sich auf der nächsten, geeignet wirkenden Wurzel nieder und überlegte, was sie in dieser Hinsicht tun könnte. Mithilfe von spitzen Ästen und roher Gewalt gelang es ihr, die Ärmel von der geliehenen Jacke abzutrennen. Diese schob sie sich dann über die Füße und band sie mit weiteren Schlingpflanzen vorne zu und an ihren Knöcheln fest. Diese Behelfsschnüre waren zwar alles andere als stabil aber auch wenn sie sie regelmäßig würde erneuern müssen, hätten ihre Füße wenigstens etwas Schutz. Nur nicht daran denken, dass eine entschlossen zubeißende Schlange wahrscheinlich trotzdem durchkommt. Nur nicht daran denken, dass ich in dieser Enge keine Möglichkeit habe, irgendwas zu unternehmen, wenn mich was von der Seite angreift. Nur nicht daran denken, was mir mittlerweile alles wehtut. Nur nicht daran
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