Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
er bis weit nach ´Mitternacht´ wach. Dann durchfuhr ihn die Erkenntnis, dass etwas total verkehrt sein musste.
Gemeinsam mit dem zum Navigator ernannten Kapitän, der einen Aufziehwecker gestellt hatte, um die Sterne zu beobachten, stürmte er Lenas Schlafplatz.
„Die Sonne geht nicht unter! Es ist seit mindestens vierzehn oder fünfzehn Stunden helllichter Tag! Das hier ist kein alpiner Winter, sondern ein verdammter polarer Sommer!“, platzte es aus dem Kapitän heraus.
Ganz so weit war Erik mit seinen eigenen Schlussfolgerungen gar nicht gekommen. Natürlich hatte Kapitän Sven recht. Nur im polaren Sommer, genau genommen im südpolaren Sommer, gab es schneebedeckte Berge und überlange Tage zugleich. Je nachdem, wie nah sie dem Pol waren, würde die Tageslänge im Sommer verlängert sein. Natürlich erklärte das auch die Schwierigkeiten, die Sven zuvor mit seinem Kompass gehabt hatte. In Polnähe waren die Dinger nur eingeschränkt nützlich. In der Nähe zum Zielflughafen München hatte der Verdacht näher gelegen, dass sie durch eine Störung in die Alpen geraten waren. Doch jetzt schien Erik alles klar. Wahrscheinlich hatte kein Zeitsprung stattgefunden. Während an einem Ort auf der Nordhalbkugel Abend und Winter war, war es auf der Südhalbkugel Sommer. Die Änderung der Tageszeit passte schon dann hervorragend, wenn man annahm, dass die Reise über Längen- und Breitengrade zugleich hinweggeführt hatte. [3] Wie naiv, von einer Zeitreise auszugehen, statt die viel einfachere Erklärung zu sehen, dachte Erik.
Der entscheidende Nachteil dürfte sein, dass eine Polarexpedition um ein Vielfaches gefährlicher war, als ein Abstieg aus irgendeinem Alpental. Es dauerte einige Zeit, Lena all diese Zusammenhänge zu erklären.
„Ist es nicht wahrscheinlicher, dass wir uns irgendwie getäuscht haben? Oder vielleicht ist der lange Tag noch ein Teil von dem Phänomen, das unseren Absturz und den Zeitsprung verursacht hat?“, fragte sie, offensichtlich in der Hoffnung, dass Erik und Sven die Möglichkeit eines Fehlers eingestehen würden.
Das würde zumindest ein bisschen Normalität wieder herstellen und wäre bei Weitem nicht so gefährlich, dachte Erik. Ich kann schon nachvollziehen, warum sie das weiterhin glauben möchte. Ich würd´s selbst auch lieber so sehen.
Doch der Kapitän schüttelte entschieden den Kopf und zerschlug diese Hoffnung sogleich: „Es gibt noch einen anderen Beleg, der gegen die Alpen spricht. Ich war ja draußen unterwegs und konnte mir dabei ein paar Felsen ansehen, die aus dem Schnee ragen. Das war Basalt. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht. Aber soviel ich weiß, gibt es Basalt in den Alpen kaum oder gar nicht! Auch die Landschaft stimmt nicht ganz. Habt ihr schon mal Bilder aus den Alpen gesehen? Viele hohe Berge und tiefe Täler dazwischen. Was hier aus dem Schnee ragt, ist aber höchstens ein- bis zweihundert Meter höher. Wir hätten das gleich sehen sollen. Nein, in den Alpen sind wir nicht! Davon bin ich überzeugt.“
*
„Jetzt gehen alle wieder ins Bett!“, entschied Lena in unangemessen schroffem Befehlston. Sie war emotional mit der Situation zurzeit komplett überfordert. „Wir stehen morgen planmäßig auf, und DANN werden wir uns überlegen, was das für uns bedeutet. Bis dahin wird NIEMAND geweckt und ihr erzählt nicht weiter, was ihr rausgefunden habt! Wenn jemand wegen der Sonne Panik schiebt, erklärt ihr ruhig, dass wir wüssten, warum und dass das normal ist. MEHR NICHT! Klar?! Wenn sich hier eine Horde Halbbesoffener die Haare rauft, weil wir vielleicht am Südpol gelandet sind, läuft morgen, oder wie wir das auch immer nennen wollen, gar nichts mehr. Und du Sven, durchdenkst diese hübsche Theorie noch einmal GANZ GENAU und arbeitest aus, was wir daraus für unseren genauen Absturzort folgern können!“
Nach einer kurzen Pause, in der sie die erschrockenen und aufgebrachten Gesichter von Alf, Erik und Sven bemerkte, fügte sie hinzu: „Bitte. Und es tut mir leid, wenn ich jetzt einfach nicht mehr nett sein kann! Morgen versuch´ ich das wieder. Versprochen. Macht bitte trotzdem, was ich gerade gesagt habe, ja?“
„Ich liebe dich so unglaublich“, flüsterte Alf ihr ins Ohr, als Lena sich nun doch noch an seiner Schulter in den Schlaf weinte.
*
Konstantin verbrachte Stunden damit, sich mit seinen Gastgebern zu unterhalten. Da er dabei viel auf Raten und Gestikulieren angewiesen war, ermüdete er schnell. Der
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