Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Kunststück gelang, sie gemeinsam zu fixieren. Es grenzte an ein Wunder, dass der einzige ernsthafte Schaden dabei eine gebrochene Nase in Bernds Gesicht blieb. Anschließend schrie Verena unverständliches Zeug heraus, sang lauthals Lieder oder grunzte einfach nur. Obwohl sie gefesselt war, blieb sie tobsüchtig und gefährlich. Sogar Elina musste ihre ausdauernden Versuche, sie zu waschen, zu versorgen oder wenigstens zu untersuchen, vorerst einstellten.
Nur die restlichen Steine nahm man ihr noch ab und bestaunte sie. Der Struktur nach waren das ganz normale Steine, viele davon mit scharfen Kanten, wie sie es sich für die Benutzung als Werkzeuge gewünscht hatten. Doch zunächst kam niemand auf die Idee, dass man sie tatsächlich zu profanen Zwecken, wie dem Abhacken von Lianen verwenden könnte. Denn die Felsbrocken leuchteten genauso intensiv wie die Sonne oben über den Bäumen. Sie alle waren sich einig, dass diese Eigenschaft in der Nacht sehr praktisch wäre.
Die Dämmerung kam rasch und so fanden sie heraus, dass das ein Trugschluss gewesen war. Im selben Maße, wie die Sonnenstrahlen schwanden, verblasste auch das Licht der Steine. Wenigstens wurde es nicht schlagartig, sondern recht allmählich dunkel, sodass sie Zeit hatten, sich darauf einzustellen. Schließlich hackten Elina und Alexander doch noch Lianen ab, tranken sich daraus satt und flößten Mira und Verena, die jetzt eine Phase von Apathie durchlebte, reichlich vom wässrigen Saft ein. Die Anderen erklärten, aus den Blättern zu trinken sei, wenn kein Dreck darin schwamm, bestimmt genauso sicher und viel weniger aufwendig. Das letzte Sonnenlicht nutzten sie, um sich mithilfe der Steine robuste Stöcke und Spieße zur Selbstverteidigung zu schneiden. Diejenigen unter ihnen, die sich noch einen Rest ihrer Lebensgeister hatten bewahren können, waren erstaunt: Wie unglaublich nützlich und wertvoll ein primitives Hilfsmittel wie ein Stückchen Fels sein konnte! Nichtsdestotrotz war ein scharfkantiger Stein schlichtweg nicht mit einem echten Messer oder einem Beil zu vergleichen. Daher waren diese einfachen Schnitzereien harte Arbeit.
Dann wurde es endgültig zu finster, um noch irgendetwas unternehmen zu können. Bernd teilte Wachen ein, die versuchen sollten, Schlangen und andere Raubtiere fernzuhalten. Danach fielen die Ersten in den Schlaf völliger Erschöpfung. Verenas im Wahn ausgestoßene Laute ließen sie immer wieder hochschrecken. Bald nahmen die ersten der Wachen leuchtende Flecken im Dickicht um sie herum wahr, die im blassen Restlicht des grünen Mondes gespenstisch schimmernden Augen größerer Säugetiere.
Die Augen kamen unvermittelt näher. Alle, die sich noch auf den Beinen halten konnten begannen, mit ihren Stöcken auf die schattenhafte Gefahr einzuprügeln. Später betasteten sie ihre Kratzer und Blessuren aus diesem Kampf. Sie einigten sie sich darauf, dass die Schemen die sie manchmal auszumachen glaubten, wenn der Mond günstig durch das Blätterdach schien, am ehesten wie etwas Affenähnliches gewirkt hatten.
Diese Nacht wollte nicht enden. Immer wieder einmal fiel einer von ihnen in kurzen Erschöpfungsschlaf. Diese Phasen wurden regelmäßig durch Verena oder die Alarmrufe ihrer Gefährten unterbrochen. Dreimal mussten sie in dieser Nacht noch auf unsichtbar bleibende, größere Raubtiere einprügeln. Einmal handelte es sich um ein Rieseninsekt, ein anderes Mal um eine Nacktschnecke, die so hoch wie Bernd und trotzdem objektiv betrachtet wohl nicht weiter gefährlich war. Dennoch bereute niemand, sich mit Schneckenschleim besudelt zu haben, als sich das Tier, nach gehöriger Prügel, in Sicherheit brachte, indem sie sich vom Ast fallen ließ. Der letzte ´Angreifer´ war, soviel verstanden sie später, Lisa, die sich abseits hingehockt hatte, um Wasser zu lassen. Erst nachdem sie mehrere derbe Hiebe eingesteckt hatte begann sie, zu schreien, und wurde doch noch als Mensch erkannt. Auch wenn die Jugendlichen keine Ahnung hatten und die Nacht in dieser Hinsicht in ständiger Ungewissheit verbringen mussten, soll hier gesagt werden, dass es achtundzwanzig Stunden stockfinster blieb. Das ist eine sehr lange Zeit, um sich im Dunkeln zu fürchten.
*
Elina konnte sich nach dem versehentlichen Angriff auf Lisa nicht gleich durchringen, wieder schlafen zu gehen. Sie hockte sich in der Nähe hin und kam sich sehr einsam vor. Obwohl sie die Blessuren aller behandelt hatte, fühlte sie sich nicht als Teil der
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