Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
genommen habe! Dann bin ich endlich aus der unteren Wurzelschicht rausgekommen.
Aber das war noch nicht der Bereich mit den Baumstämmen und so. Über mir waren noch viel mehr verdammte Wurzeln. Die haben riesige durchgehende Flächen gebildet, die von oben wahrscheinlich solche Regenwasserteiche waren, wie ihr sie auch schon gesehen habt. Unter diesen Wurzelschichten hat sich ein Freiraum gehalten, wie eine richtige Höhle. Da war alles voller bleicher Pilze. Ich bin weiter gekrochen, um einen Weg nach oben zu finden. Dabei haben erst alle meine Schmerzen aufgehört, dann gingen die Halluzinationen los. Ich muss irgendein Gift abgekriegt haben, was das bewirkt hat, das ist mir jetzt natürlich auch klar. Unten hab ich aber gedacht, so wäre das, wenn man stirbt. Da habe ich Panik gekriegt, konnte nur noch denken, dass ich nicht allein krepieren wollte! Meine Halluzinationen sind auch von ziemlich geil zu totalen Albträumen abgedriftet. Ich wollte nur noch zu euch. Da habe ich doch noch eine Stelle gefunden, an der ich mich weiter nach oben durch das Wurzelwerk wühlen konnte. Ich habe unterwegs, sobald genügend Platz war, auf alles eingedroschen, dass sich bewegt hat, auch wenn ich jetzt nicht sagen kann, wie viel von dem Zeug nur Einbildung war. Meine Schmerzen waren auch nicht wirklich fort. Ich hab gemerkt, wie ich beim Klettern Muskeln und Gelenke total überlastet hab aber … das war irgendwie als würde … jemand anderes mit den ganzen schrecklichen Schmerzen rumlaufen. Und wenn ihr mir jetzt was von dem Gift anbieten würdet, was mich da unten erwischt hat, ich würde es sofort nehmen, weil … jetzt bin ich es wieder, der alles, aber auch wirklich alles, höllisch wehtut.“
Verena schossen die Tränen in die Augen, doch um richtig zu weinen, fehlte ihr die Kraft, und sie war noch zu dehydriert. Der lange Aufstieg, bei dem sie ununterbrochen mehr oder weniger ziellos um sich geschlagen hatte, musste ungeheure Mengen von Energie und Wasser verbraucht haben und nennenswerte Fettreserven wies Verenas Körper nicht auf. Oh je, jetzt fängt Lisa auch noch an, an meiner Stelle zu weinen. Zuviel Mitgefühl kann schon grausam sein. Dabei hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass sie mich überhaupt wahrgenommen hat. Wenn ich gehässiger wäre, würde ich denken, sie macht das, um einen Vorwand zu haben, sich eng an Bernd zu kuscheln. Eigentlich glaube ich, dass sie einfach nur emotional am Ende ist.
Verena zog eine Grimasse. Bevor sie weiterreden konnte musste sie erst einmal schlucken und Kräfte sammeln. „Ich bin, wie gesagt, wie eine Irre hier raufgeklettert und hab´ auf alles eingedroschen. Als ich euch gesehen habe, hatte ich einen kurzen klaren Moment, dann bin ich wieder ausgeklinkt und war abwechselnd gut drauf und total down. Ich glaube, ich habe euch ein bisschen angegriffen. Das tut mir total leid. Ehrlich!
Die Nacht über gefesselt zu sein, war schrecklich, besonders nachdem ich angefangen habe, zu brechen, und dachte ich würde daran ersticken. Außerdem habe ich mir eingebildet ihr würdet rumschreien und kämpfen. Jetzt bin ich wieder klar. Glaube ich wenigstens.“
*
Die mach´n sich echt alle viel zu viel Stress , entschied Rolf. Wir leben ja noch. Na ja, außer Eddie. Ich hab´ Eddie gemocht. Der war nich´ so kompliziert und hat auch keine Wörter verwendet, mit denen normale Menschen nix anfangen könn´n.
Die Erkenntnis, in eine gänzlich fremde Welt geraten zu sein, machte den Meisten aus Rolfs Gruppe Angst oder verursachte zumindest Trauer und Heimweh. Im Einzelnen fielen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus.
Katja war die Älteste der Gruppe. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaften parallel und hatte in beiden Fächern gerade ihren Bachelorabschluss gemacht. Nach dieser enormen Leistung hatte sie sich ein Freisemester gegönnt, das ihr die Zeit für die gemeinsame Südamerikatour gegeben hatte. Sie genoss diese Reise durchaus. Aber auf die Dauer war sie nur zufrieden, wenn sie für ihre Karriere arbeitete und die wenige Freizeit mit Aktivitäten, die feste Einträge in ihrem Terminkalender bedingten, ausgefüllt war. Ihre zahlreichen Freundschaften und Bekanntschaften waren wohl gepflegt. Wenn die Besuche bei ihren Eltern nicht allzu regelmäßig ausfielen, so waren sie doch die wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Die Vorstellung, ihr Studium und die unweigerlich darauf folgende steile Karriere, ihre Eltern, Freunde, ihren Schachklub
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