Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Dinge, die für den Transport ins Tal bestimmt waren, ließen sich bequem in die geräumigen, geflochtenen Kiepen verfrachten, die sie zu diesem Zweck erworben hatten. Es blieb eine Menge Platz. Eigentlich wollte Lena die sechs Thermoskannen für die weiteren Transporte obenlassen, doch jetzt besann sie sich eines Besseren. Im Flugzeug konnten sie sich davon auf der nächsten Tour Nachschub holen. Sie ließ ihre Begleiter alle Kannen randvoll mit Schnee stopfen. In der Hitze des Dschungels dort unten wäre Schnee eine willkommene Überraschung für ihre Freunde. Bei den Schlitten hinterließen sie noch eine kurze Notiz für den Kapitän, dann sicherten sie die verbliebene Ausrüstung und machten sich erneut an den Abstieg. Anfangs war die Stimmung wegen Lenas traumatischem Erlebnis gedämpft. Doch das ließ rasch nach. Nun, da Lena und ihre Begleiter zumindest eine Ahnung hatten, was sie in dem Tal erwarten würde, wussten, dass keine unüberwindlichen Hindernisse auf sie warteten, Gewissheit hatten, dass die Bewohner dieser Welt auch nur Menschen waren, kam ihnen die Kletterei viel leichter vor. Dazu kam die Tatsache, dass sie sich daran gewöhnten, sich auf diesem felsigen Gelände zu bewegen und daher tatsächlich leichtfüßiger einhergehen konnten.
Die atemberaubend schöne, von Menschen unberührte Natur in dem Tal erleben zu dürfen, empfand Lena jetzt als Privileg. Auf dem Abstieg kam es jedoch zu zwei ernüchternden Begebenheiten, die sie gemahnten, die unbekannten Gefahren einer fremden Welt nicht zu vergessen.
Sie waren gerade so weit abgestiegen, dass sie erneut in den Bereich kamen, in dem die blauen Vögel nisteten. Diesmal hielten die harmlosen Tierchen nicht so viel Abstand. Sie sausten zu ihrer Begeisterung direkt um sie herum in dichten Schwärmen durch die Luft. Lena glaubte, sie könne sich mühelos einen Vogel aus der Luft greifen, wenn ihr danach wäre. Dabei fielen die Tierchen über eine große Wolke hässlicher Nachtfalter her, die sich in das Hochtal hinabgesenkt hatte.
Das Spektakel wurde wieder übersichtlicher und verlagerte sich in einen anderen Bereich der Schlucht. Lena stutzte. Etwas an dem Weg vor ihnen hatte sich verändert und sie konnte nicht erfassen, was es war. „Halt!“, befahl sie. Ein unbestimmtes Gefühl von Bedrohung hatte sie befallen.
Es war Alfred, der als erster zu begreifen schien, was sie dort vor sich sahen und die kleine Gruppe entsetzt den Hang hinauf und zur Seite in eine sehr schmale Schlucht zerrte, ohne eine Erklärung abzugeben. Hier hatten mehrere der bunten Schlangen Schutz gesucht, die an den Hängen lebten, doch die ließen sich leicht mit den Wanderstäben vertreiben.
Plötzlich lachte Lena erleichtert auf und verkündete: „Wir sind schon ein feiges Völkchen. Ich weiß jetzt, was da anders war! Wir haben uns von einem Baum in die Flucht schlagen lassen, der das Tal hinabgefallen ist! Vermutlich vom Wind umgeweht ….“
Lena wollte gleich wieder aus der Deckung hinausspazieren. Alf, der, wie sich herausstellte, mehr gesehen hatte, hielt sie zurück: „Stopp! Das ist kein umgestürzter Baum, auch wenn es danach aussieht! Oberhalb von hier gibt es gar keine Bäume. In Wahrheit hockt da eine Gottesanbeterin auf der Lauer, die groß ist wie ein Baum und sich auch als Baum tarnt!“
Lena wurde leichenblass und presste sich mit dem Rücken an den Felsen. Sie musste nicht erst nachsehen, um sich Gewissheit zu verschaffen. Alfreds Hinweis hatte ausgereicht. In ihrem Geiste fügte sich jetzt, das, was sie gesehen hatte, zu einem neuen, einem erschreckenden Bild von einem regelrechten Monster zusammen.
Die Schlucht in der sie Schutz gesucht hatten, verengte sich im unteren Bereich zu einer schmalen Spalte. Sie waren zuversichtlich, dass ein so großes Tier nicht hineinpassen würde. Sobald sie wieder hinausklettern wollten, wäre es mit dieser Sicherheit vorbei.
„Die Schmetterlinge haben die kleinen Vögel angelockt, die kleinen Vögel viele größere Räuber und die wiederum sind für unsere Freundin da vorne attraktiv. Sie lebt bestimmt eigentlich im Dschungel und ist hier raufgestiegen, sobald der Schmetterlingsschwarm in Sicht gekommen ist“, spekulierte Alf.
Lena liebte es, wie er sich für solche Zusammenhänge begeistern konnte. Der schönste Actionfilm mit herausragenden 3-D-Effekten konnte ihn kaum vor einen Fernseher locken. Eine alte Naturdoku in fürchterlicher Bildqualität war für ihn dagegen unwiderstehlich. Insofern war es
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