Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
hatte. „Die Kollegen in der Basis berichten, dass wegen lateralen Verschiebungen im phänotyrischen System drei unserer Leute zurückgeblieben sind. Ich werde ihnen einen Lagebericht geben und Hilfe bei der Orientierung anfordern.“
Die Legende
Für Verena hatte sich viel verändert in den letzten anderthalb Jahren. Sie hatte sich verändert. Langsam begann sie sich als richtige, wenn auch noch etwas unerfahrene Waldläuferin zu betrachten. Fast alle nannten sie sowieso nur noch in einem Atemzug mit Barwarin, als sei sie diesem bereits ebenbürtig.
Die Wahrheit lag, wie so oft, irgendwo dazwischen. Nachdem sie das Dorf der K´Calumara verlassen hatten, zogen sie zunächst durch enge Schluchten zwischen himmelhoch aufragenden Tafelbergen einher. Die K´Calumara hatten ihnen berichtet, dass es dort die Ruinen einer Großstadt zu besichtigen gab. Tatsächlich nahmen sich Barwarin und Verena einen Tag Zeit, zwischen halbverfallenen Gebäuden umherzustreifen und darüber zu diskutieren, wie es hier einmal vor dem Niedergang ausgesehen haben mochte und wie es wohl dazu gekommen war, wo doch das relativ kühle Tal als Siedlungsort eigentlich ideal sei.
„Es gibt überall auf der Welt solche Orte und in vielen Fällen ist nicht bekannt, was geschah. Manchmal kommen Waldläufer in eine Großstadt, die noch vor einem Jahr das blühende Leben selbst war und finden sie verlassen oder voller verwesender Leichen.“ Barwarin fing Verenas fragende Blicke ein und entschloss sich zu weiteren Erläuterungen: „Manchmal kann man feststellen, dass eine Krankheit gewütet haben muss. In anderen Fällen hat es Massenauftreten gefährlicher Tiere gegeben, wie etwa der Scherenkrabben. Immer wieder stirbt auch eine Stadt den ökologischen und ökonomischen Tod, weil sie zu sehr anwächst oder zu schlecht mit der Natur haushaltet. Das ist ein langwierigerer, aber nicht weniger schlimmer Prozess. Jedenfalls sind von allen Arten von plötzlichem Verschwinden hauptsächlich die allergrößten Metropolen betroffen. Kleinere Städte mit höchstens hunderttausend Einwohnern können Jahrtausende alt werden. An solchen Orten gibt es auch die ältesten und größten Bibliotheken. Die Ruinen hier sind jedenfalls schon seit Jahrhunderten von den Stammesleuten in der Gegend geplündert. Das ist meistens der Fall. Ich halte sowieso nichts von dieser Schatzsucherei“, gab Barwarin seine Meinung kund.
Diese Stadt, von der niemand mehr wusste wie sie hieß und wer einst darin gelebt hatte, musste einmal vollständig aus hohen runden Turmbauten bestanden haben. Da heutzutage fast überall auf H´Veredy ausschließlich einstöckig und vorwiegend rechteckig gebaut wurde, war das ungewöhnlich.
Hinter den Schluchten zwischen den Tafelbergen lag dann jenes Gelände, das man als ´Mittelländisches Hügelland´ bezeichnete. Hier begannen Verena und Barwarin, gezielt nach wertvollen Pflanzen zu suchen, die sich in der nächsten Stadt verkaufen ließen.
Am selben Tag ging Barwarins Vorrat an Blasswurz zuneige und Verena las die letzten Zeilen ihres Bandes über Blütenpflanzen in dieser Landschaftsformation. Am nächsten Morgen fand Barwarin ´wundersamerweise´ ein Päckchen Blasswurz neben der Feuerstelle stehen und Verena wachte mit dem Kopf auf Band 2+3 von ihrem heiß geliebten Buch auf.
Niemals sah man späterhin Verena, die Waldläuferin, selbst nachdem sie zur Legende geworden war, noch ohne irgendein Lehrbuch in ihrem Gepäck reisen. Und in jeder Ortschaft stürzte sie sich in den Bibliotheken bevorzugt auf jene Themen, zu denen ihr Barwarin nicht so gut vermitteln konnte. Sie las viel über die Äquatorialdschungel, die Pilzhöhlen, aber auch über das Waldläuferhandwerk bei Nacht. Da sie stärker als ihr Gefährte die relative Kühle der frühsten Abend- und Morgenstunden schätzte, versuchte sie, mit mäßigem Erfolg, Barwarin zu bewegen, früher aufzustehen und später ins Bett zu gehen. Sie trachtete auch, sich mehr medizinische Kenntnisse anzueignen als Barwarin, um in Zukunft ihre, immer wieder nötigen, Selbsttherapieversuche nichtmehr mit den üblichen radikalen Waldläufermethoden durchführen zu müssen. Wenigstens die einfacheren Krankheiten wollte sie gezielter diagnostizieren und therapieren lernen. Sie stellte dabei erstaunt fest, was für eine ernste und leistungsfähige wissenschaftliche Basis diese Disziplin auf H´Veredy seit Jahrtausenden zu haben schien. Zwar fehlten die modernen irdischen Möglichkeiten
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