Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
Vom Netzwerk:
fremder wurde das Universum um sie herum. Sie bemerkte mehr und mehr Seltsamkeiten. Wie zum Beispiel ein zehnstöckiges Gebäude, das einen guten Meter über dem Boden schwebte. Oder einen Hund mit menschlichem Gesicht, der von einem Menschen mit Hundegesicht ausgeführt wurde. Oder das beinahe nicht wahrnehmbare Ausdehnen und Zusammenziehen des Asphalts unter ihren Füßen, als wäre alles auf dem Rücken eines riesigen schlafenden Monsters gebaut worden.
    Das war es, was einen in den Wahnsinn treiben konnte: Jetzt schien alles möglich zu sein. Sie war nie eine nachdenkliche Seele gewesen. Wie die meisten Leute war sie üblicherweise zu sehr mit ihrem alltäglichen Leben beschäftigt gewesen, um über tiefere Mysterien nachzugrübeln, von denen sie sicher war, dass sie sie sowieso nie verstehen würde. Sie hatte die meisten Sachen einfach geglaubt und darauf vertraut, dass irgendwer sie schon kapieren würde.
    Jetzt hatte sie entdeckt, dass die menschliche Rasse wenig mehr als ein Haufen Mikroben war, die auf einer dünnen Scheibe Realität herumwimmelten, die sie törichterweise als »das Universum« bezeichneten. Die Entdeckung, dass an der Menschheit nichts Besonderes war, schockierte sie nicht. Jedenfalls nicht übermäßig. Sie war immer zynisch gewesen, was das anging. Die Vorstellung, dass die Realität viel zu groß war, um sie sinnvoll in Zahlen ausdrücken zu können, störte sie auch nicht groß. Nur dass sie tief in ihrem Inneren davon ausgegangen war, dass unterhalb des Ganzen eine inhärente Logik am Werke war. Wie herumschwirrende Moleküle, die zu Planeten und Sternen, Hunden und Katzen erstarrten. Wenigstens ergab das einen Sinn, wenn es auch nicht besonders beruhigend war. Zumindest waren auf diese Weise alle Dinge in hübschen kleinen Schubladen mit hübschen kleinen Schildchen verpackt, die sie zwar nicht immer verstand, auf die sie sich aber verlassen konnte, weil sie sie kannte.
    Zu dumm, dass sich jetzt herausgestellt hatte, dass alles nur Blödsinn war.
    Stattdessen fand sie sich jetzt in einer Welt wieder, in der nichts mehr unmöglich war ohne einen mentalen Aktenschrank, in dem sie ihre Wahrnehmungen zusammentragen konnte. Alles war zu einem einzigen riesigen Haufen geworden, zu groß, um ihn unter den Teppich zu kehren, zu laut, um die Tür davor zu verschließen.
    Zu viel Phantasie war nie Dianas Problem gewesen, aber mit ihren neuen Wahrnehmungen war ein Schalter umgelegt worden. Sie malte sich das Universum als von gewaltigen gottgleichen Schmetterlingen regiert aus, die auf ihre Schöpfung herabblickten und überlegten, ob sie schillernd genug war, um sie zu behalten – oder ob sie sie einfach wegwerfen und noch mal von vorn anfangen sollten. Sie stellte sich alles als einen Traum vor. Ihren Traum. Eine niemals endende Phantasie, die von vorn beginnen würde, wenn sie starb. Immer und immer wieder. Oder vielleicht war es auch das Gegenteil. Möglicherweise war sie nur ein Trugbild in der Phantasiewelt eines anderen. Zum Henker, vielleicht war sie sogar ein Roboter, wer wusste das schon?
    Jede Möglichkeit, egal wie verwirrend, unvorstellbar oder absolut dumm, erschien jetzt plausibel. Sie verfluchte jede einzelne Folge von Twilight Zone , die sie je gesehen hatte, denn durch sie war die Saat der Schizophrenie in ihr Hirn gesät worden. Auch wenn es eigentlich keine Geisteskrankheit war, wenn man einfach nur mehr wusste, weil das Realitätsempfinden erweitert war. Oder vielleicht auch doch. Vielleicht war dies alles nur ihr geistiges Überschnappen, und sie war bloß wachsam genug, um es zu merken. Sie fragte sich, ob man verrückt werden und es gleichzeitig wissen konnte. Dann wurde sie sauer, als ihr klar wurde, dass jede Antwort, zu der sie kam, in sich wieder verdächtig sein musste.
    Diana fluchte vor sich hin, gerichtet an das erste Ziel für ihren Ärger, das ihr durch den Kopf ging: »Fick dich, Rod Serling!«
    Vor ihrem Apartmentgebäude blieb sie stehen. Sie hatte nicht vorgehabt, wieder hierherzukommen. Sie war einfach nur herumgelaufen, ohne auf den Weg zu achten.
    Aber jetzt war sie hier.
    Irgendetwas an diesem Gebäude war beruhigend. Etwas Erschreckendes. Am erschreckendsten war, wie beruhigend sie es fand. Als gehörte sie jetzt hierher.
    Sie betrat das Gebäude, und plötzlich fühlte sich alles besser an. Die Welt da draußen war ein seltsamer, monströser Ort. Die Welt hier drin war nur seltsam. Aber warum fand sie es hier weniger grotesk, weniger

Weitere Kostenlose Bücher