Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
kapiert, auch wenn ich die naheliegenden Fragen nicht stellen werde, zum Beispiel, wie das bei den Blinden läuft, weil ... na ja ... weil es wahrscheinlich sinnlos ist. Aber wie oft wachen Leute zu früh auf? Und was passiert mit ihnen, wenn diese Dinger sie erwischen?«
»Es passiert unregelmäßig, und du willst gar nicht wissen, was passiert. Jetzt sind wir fast da. Ah, da sind wir.«
West legte einen Schalter um und vertrieb damit die Dunkelheit. Die Traumwelt verschwand, und plötzlich war ihr Schlafzimmer wieder da. Alles schien normal. West und die Traumfresser waren weg. Sie hätte sich eingeredet, es sei alles ein lebhafter Traum gewesen, wenn sie nicht immer noch die Fackel in der Hand gehalten hätte.
Sie stieg in ihre Hausschuhe, schob die Kommode beiseite, verließ das Apartment und stapfte nach unten. Sie hämmerte an Wests Tür. Sie erwartete nicht, dass er sofort öffnete, aber sie beschloss hierzubleiben, bis er es tat. Als sie gerade zum zweiten Mal klopfte, ging die Tür auf.
»Wie um alles in der Welt soll ich jetzt schlafen?«, fragte sie.
West lehnte sich an den Türrahmen und seufzte. »Wenn du nicht schläfst, wie können die Traumfresser dann deine Gedanken säubern?«
»Und wenn ich weiß, dass da draußen Traumfresser herumlungern und meine Welt dazu verdammt ist, von einem kosmischen Monster zerstört zu werden, wie soll ich dann einschlafen können?«
»Du musst nur die Augen schließen«, sagte er. »Die Fresser kümmern sich um den Rest. Jetzt, da du sie beinahe gesehen hast, werden sie von dir angezogen werden. Du wirst wahrscheinlich besser schlafen, als du dir je vorstellen konntest. Alle Mieter, die am längsten überlebt haben, sind in ihren ersten paar Monaten hier im Haus mindestens ein- oder zweimal zu früh aufgewacht. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Aber wenn ich die Augen schließe, sehe ich nur …«
»Du wirst gar nichts sehen. Die Fresser werden dir gnädiges Vergessen schenken und dich von der Bürde wirrer Gedanken und überhitzter Erinnerungen befreien. Sie werden dir die Zuflucht zu einer reinen, ungestörten Besinnungslosigkeit ermöglichen, und zwar acht Stunden am Stück. Wenn ich du wäre, wäre ich dankbar für jeden Augenblick des Friedens in diesem hektischen Universum.«
Er schloss die Tür.
Diana trottete in ihr Schlafzimmer zurück. Er war verrückt, wenn er glaubte, sie könne mit dem Wissen, das sie jetzt besaß, wieder einschlafen. Sie öffnete ein Buch und las, um wach zu bleiben. Irgendwann schlief sie ein.
Es war die erholsamste Nacht ihres ganzen bisherigen Lebens.
NEUN
Diana wachte auf, rückte die Kommode vor ihrer Tür weg, duschte und zog sich an. Heute war ein neuer Tag. Und sie war wild entschlossen, das Beste daraus zu machen, indem sie bewies, dass sie einen ganz normalen Allerweltstag haben konnte – von Anfang bis Ende. Sie musste nur ihre monströsen Mitbewohner ignorieren und all die Absonderlichkeiten, die nur sie sehen konnte. Das war zu schaffen.
Der Unendliche Smorgaz lag auf dem Bauch in einer Ecke des Wohnzimmers: ein riesiger lila Haufen. Im Gegensatz zu Vorm schlief Smorgaz nach menschlichem Zeitplan. Sein stetiges Schnarchen klang verdächtig nach einer in Baumwolle gewickelten Kreissäge.
Vorm saß auf der Couch und las ein Buch. Wenn er mit einer Seite fertig war, riss er sie heraus und verschlang sie.
Diana hatte Zeit für ein schnelles Frühstück. Weil sie nichts zu essen fand, benutzte sie ihre Kräfte, um eine Packung Orangensaft und Frühstücksflocken herbeizuwünschen. Die multidimensionalen Eigenschaften des Apartments machten es ihr leicht, ihre magischen Fähigkeiten einzusetzen, und sie fand, es war ein guter Ort zum Üben. Ihre Schachtel Cornflakes kam allerdings ohne Schüssel, Milch und Löffel. Ärgerlich, wie wenig gesunden Menschenverstand die Magie besaß. Diana erschuf die fehlenden Gegenstände auch noch. Alles formte sich selbst aus den Küchenmöbeln heraus, stieg auf, als knospe es aus den Oberflächen, und sie fragte sich, ob sie die Realität erschuf oder ob das Apartment wie ein folgsames lebendes Wesen Teile seiner Selbst nach ihren Wünschen umformte. Aß sie Cornflakes oder ein kleines Stück eines jenseitigen Monsters? Wie eine Zecke, die einem Hund Blut aussaugte?
Als sie einen Löffel Cornflakes nahm, meinte sie, die Küche beben zu spüren. Ob das Gefühl real war oder nicht, konnte sie nicht beurteilen, aber das war im Moment auch egal. Besser nicht zu viele Gedanken
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