Der Mondscheingarten
tiefschwarzes Haar. Die Fotos verraten nicht einmal ansatzweise, dass ihre Mutter eine Minangkabau war, deren Stamm im Herzen der Insel ansässig war.«
Lilly zog die Augenbrauen hoch. Ellen stellte ihren Espresso weg.
»Und was sind diese Minangkabau?«, fragte Lilly, denn diesen Begriff hörte sie zum ersten Mal.
»Ein Volksstamm auf Sumatra, bei dem das sogenannte Adat herrscht, eine Gesellschaftsordnung, in der die Frauen das Sagen haben.«
»Also ein Matriarchat«, stellte Ellen fest, worauf Gabriel nickte.
»So ist es. Natürlich herrscht dort der Islam, das Studium des Korans ist den Männern vorbehalten, doch Grundbesitz wird in weiblicher Linie vererbt. Jede Familie hat eine sogenannte Stammmutter, diese wird von allen Nachkommen verehrt. Die jeweils erste Tochter ist dazu ausersehen, den Stamm weiterzuführen, während ihre Schwestern ihrerseits dafür sorgen, dass sich die Familie vergrößert oder ein neuer Stamm entsteht.« Er faltete das Blatt auseinander und reichte es Lilly. Dabei streifte er absichtlich ihre Hand.
Wie weich sich die Haut und wie kräftig sich die Finger anfühlten! Es war die Hand eines Musikers, aber auch die Hand eines Mannes, der anpacken konnte.
Verwirrt richtete Lilly den Blick auf die Kopie. Etwas über die Minangkabau stand dort nicht, aber Rose musste mit einigem Stolz berichtet haben, dass ihre Mutter diesem Volk angehörte. Und noch mehr stand dort. Dass sie in Padang gewohnt hatten und dass Rose dort zur Schule gegangen war, wo sie ihrer niederländischen Musiklehrerin auffiel und diese durchsetzte, dass sie Geigenunterricht bekam.
»Lassen Sie mich raten!«, warf Ellen inzwischen ein. »Roses Mutter war Hausangestellte bei einem Engländer, und dieser hat sie geschwängert.«
Gabriel lachte kurz auf. »Mrs Morris, woher haben Sie denn nur diese schlechte Meinung über Männer des 19. Jahrhunderts?«
»Na, ist das denn nicht das gängige Klischee? Wo auch immer englische Kolonialherren Personal unter den Einheimischen genommen haben, setzten sie auch Kinder mit einigen der Frauen in die Welt.«
Gabriel wirkte noch immer amüsiert. »Ja, das mag das gängige Klischee sein, angefeuert von Buch und Film, und sicher hat es solche Fälle gegeben. Doch hier sieht es etwas anders aus.«
Gabriel verstummte, sah abwechselnd zu Ellen und Lilly, bis sein Blick bei der Antiquitätenhändlerin hängenblieb. Lillys Wangen glühten vor Aufregung, und in ihrem Magen kribbelte es.
»Tatsächlich ist es so, dass Rose Gallway eine moralisch unbedenkliche Herkunft hat. Ihr Vater war der Hafenmeister von Padang, ein Engländer, und er hatte Adit ordnungsgemäß geheiratet. Das Erstaunliche daran ist, dass sie bei ihrem Mann gelebt hat. Ich habe mich ein wenig schlaugemacht über die Minangkabau. Bei denen ist es eigentlich üblich, dass die Frauen im Haus ihrer Mutter bleiben und dass sie mit ihren Männern, die in ihren Augen zur Familie ihrer eigenen Mutter gehören, eine Art Besuchsehe führen. Die Kinder, die geboren werden, gehören zu ihrer Familie, nicht zu seiner.«
»Also hat Roses Mutter mit der Tradition gebrochen.«
»Könnte man so sagen. Allerdings heißt das nicht, dass das so geblieben ist. Die Minangkabau sind sehr traditionsbewusst, vielleicht hat sie sich doch wieder zurückbesonnen auf ihr Volk. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem wir ansetzen können. Schließlich verlor sich die Spur von Rose auf Sumatra. Nachdem ihre Karriere bereits im Niedergang begriffen war, reiste sie dorthin, ohne jemandem zu erklären, was sie dort wollte. Ich gehe davon aus, dass der Besuch ihren Eltern galt. Vielleicht gibt es in Padang und Magek Spuren von ihr und ihrer Familie. Da Grundbesitz in mütterlicher Linie vererbt wird, sollte ihr Name bekannt sein – auch wenn es keine Kirchenbücher gibt, haben die Minangkabau vielleicht auch Aufzeichnungen über ihre Ahnen. Oder zumindest mündliche Überlieferungen.«
»Dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als nach Indonesien zu reisen«, bemerkte Ellen, allerdings konnte man ihr ansehen, dass sie das nicht ernsthaft in Erwägung zog.
»Das wäre eine Möglichkeit«, stimmte Gabriel zu. »Die andere wäre, Unterlagen von dort anzufordern. Es gibt in Indonesien auch sehr gute Musikschulen, von denen ich vielleicht Hilfe bekommen kann.«
Lilly saß da wie versteinert. Sie spürte, dass es nicht reichen würde, Kontakte nach Indonesien zu knüpfen. Sie musste Roses Wege nachvollziehen. Sie musste nach Sumatra!
»Also,
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