Der Mondscheingarten
Es gibt Dinge, die sind im Leben vorherbestimmt. Ich soll offenbar das Erbe meines Volkes antreten. Eines Tages wirst du diejenige sein, die vor diese Wahl gestellt wird. Solange ich lebe, werde ich verhindern, dass sie zu dir kommen, doch wenn ich tot bin, bist du die nächste Stammmutter. Und dann musst du entscheiden, was für dich wichtig ist.«
Rose blickte sie nachdenklich an. Eigentlich hatte sie bereits eine Entscheidung getroffen. Sobald Paul zurückkehrte, würde sie mit ihm gehen. Doch das wollte sie ihrer Mutter noch nicht sagen, nicht jetzt, wo sie ihren Mann verloren hatte. »Das werde ich«, sagte sie nur, nahm erneut die Hände ihrer Mutter, und während sie sie an ihre Wangen führte, schickte sie den stillen Wunsch in die Ferne, Paul möge bald wiederkommen.
18
London 2011
Aufgeregt rutschte Lilly auf dem Sofa herum. Sie fühlte sich, als würde gleich ein Dynamitlager unter ihrem Hintern explodieren.
Fast bereute sie es nun ein bisschen, Ellens Vorschlag zugestimmt zu haben. Auf den ersten Blick war es eine tolle Idee, aber nun fürchtete sie, dass Ellen mitbekommen konnte, was für eine Verwirrung Gabriel in ihr anrichtete. Dass sie sich wie ein Schulmädchen benahm, war ein deutliches Indiz dafür.
Ellen grinste sie an. »Du scheinst dich ja sehr auf Gabriel zu freuen.«
»Ich?« Ertappt erstarrte Lilly.
»Du hibbelst auf dem Sofa herum, als hättest du Hummeln im Hintern. So aufgeregt habe ich dich das letzte Mal gesehen, als Markus Hansen dich zum Abi-Ball abholen wollte.«
»Das ist doch Unsinn!«, entgegnete Lilly. Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich so aufgeregt wie an dem Tag, als Peter und sie sich zum ersten Mal verabredet hatten. Da im Vorfeld dieses Dates absolutes Chaos geherrscht hatte, hatte Ellen allerdings nichts von ihrer wirklich großen Aufregung mitbekommen. Das war jetzt anders.
»Ich bin nur gespannt, was er gefunden hat.«
»Ja, wahrscheinlich hat er herausgefunden, welches Parfüm Rose Gallway immer benutzt hat.«
»Nun sei nicht gemein!« Lilly knuffte Ellen kurz in die Seite.
»Das bin ich doch gar nicht. Ich glaube nur, dass wir ihm wesentlich mehr zu berichten haben als er uns.«
»Warten wir es doch mal ab!«
Motorengeräusch beendete ihre Diskussion.
»Das ist er!« Lilly sprang vom Sofa auf und wollte schon zur Tür laufen, doch Ellen hielt sie zurück.
»Warte doch, lass ihn erst einmal aussteigen!«
Lilly blieb stehen, strich ihr Kleid am Körper glatt und trampelte auf der Stelle herum. »Na, eigentlich solltest du doch die Tür öffnen, oder? Immerhin bist du die Hausherrin.«
»Das schon, aber er kommt wegen dir. Lass uns beide gehen, immerhin sind wir ein Team!«
Als es klingelte, musste sich Lilly zwingen, nicht zur Tür zu rennen. Gemächlich, als erwarteten sie lediglich irgendeinen Bekannten, gingen sie zum Eingang, und Lilly überließ Ellen das Öffnen.
»Guten Abend, Mr Thornton, ich freue mich, dass Sie hergefunden haben.«
Thornton lächelte beide breit an. »War ehrlich gesagt nicht ganz einfach, aber es ist mir gelungen.« Damit reichte er beiden einen kleinen Blumenstrauß. »Nur ein kleines Dankeschön dafür, dass ich Ihnen heute Abend die Zeit stehlen darf.«
»Kommen Sie doch rein, Mr Thornton.«
Gabriel zwinkerte Lilly kurz zu, und sie lächelte ihn breit an, dann wurde er auch schon ins Wohnzimmer geführt.
Ellen hatte alles akribisch vorbereitet. Als Aperitif hatte sie kleine Häppchen und einen alkoholfreien Cocktail bereitgestellt, in der Küche wartete Pasta Milanese mit dem obligatorischen Kalbsschnitzel – sie hatten sich angesichts ihrer Rückkehr aus Cremona darauf geeinigt, etwas Italienisches aufzutischen – und ein herrliches Tiramisu, dessen Rezept sich Lilly sogleich gesichert hatte.
Jessi und Norma waren nicht dabei, sie hatten eine Pizza bekommen, die sie ausnahmsweise auf ihren Zimmern essen durften, was sie ziemlich begeistert taten. Die Musik, die sie sich dabei anhörten, war nicht überlaut, aber dennoch auch im Wohnzimmer zu vernehmen, doch das störte Ellen nicht.
Dean hatte leider nicht rechtzeitig zu Hause sein können, die Baustelle nahm ihn noch immer voll in Anspruch. Aber er hatte versprochen, später dazuzustoßen, allein schon, weil er wissen wollte, was Gabriel von dem vermeintlichen Code im Notenblatt hielt.
Beim Essen trugen Ellen und Lilly ihrem Gast abwechselnd vor, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Gabriel lauschte gespannt und betrachtete interessiert die Kopien der
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