Der Mondscheingarten
Zeitungsartikel.
»Da sind Sie wirklich auf Gold gestoßen«, sagte er, während er die Kopie zur Hand nahm, auf der die junge Rose neben Mrs Faraday zu sehen war. »Dieses Foto kenne ich nicht, ebenso ist es mit den anderen Artikeln. Wahrscheinlich hatte Mrs Faraday sich eine Ausgabe der Zeitungen zuschicken lassen, doch der Krieg hat viel vernichtet. Außerdem wurden wegen der Bombenangriffe einige Kisten mit Material in Sicherheit gebracht. Material, das nach dem Krieg nicht mehr aufgetaucht ist. Wir können davon ausgehen, dass es ebenfalls vernichtet wurde – oder auf irgendeinem Dachboden vor sich hin schimmelt.«
»Und was ist nun mit Rose?«, platzte Lilly heraus. »Sie haben uns doch eine Neuigkeit versprochen.«
Gabriel lächelte breit und hob die Hände. »Schon gut, ich ergebe mich ja, Sie brauchen keine Folterinstrumente anzuwenden.«
»Hatten wir auch nicht vor«, gab Ellen zurück. »Aber Ihre Chancen auf den Nachtisch haben sich soeben deutlich verbessert.«
»Nach diesem wunderbaren Hauptgang kann es ja eigentlich nicht noch besser kommen, aber da ich neugierig bin, freut mich das natürlich sehr.« Er setzte sich ein wenig zurecht, tat, als müsse er in seiner Erinnerung kramen, und dann begann er: »Bevor Sie nach Cremona gefahren sind, habe ich noch einmal unser Archiv intensiv untersucht, dort allerdings nicht viel Neues gefunden. Rose Gallway ist, wie Sie wissen, in unserem Haus eine Person von besonderem Interesse. Die Informationen, die über sie vorhanden sind, wurden bereits von meinen Vorgängern gesammelt und archiviert. Aber dabei haben sie eine Sache übersehen. Vielleicht kam es ihnen nicht so wichtig vor, doch beim Durchsehen der Akten traf es mich regelrecht wie ein Blitzschlag.«
»Und was haben Sie gefunden?«
»Zu unserer Music School gehörte von jeher auch ein Internat, in dem die Zöglinge, die nicht aus London stammten, untergebracht waren. Es heißt, dass Mrs Faraday zu einer bestimmten Zeit im Jahr in der Weltgeschichte herumreiste und überall dort junge Talente besichtigte, die ihr von Musiklehrerinnen empfohlen wurden. Das Internat wurde von einer gewissen Miss Patrick geführt, über die außer den Lebensdaten kaum etwas bekannt ist. Aber: Sie sammelte akribisch Daten und Unterlagen ihrer Schützlinge. Von dem Augenblick an, an dem Mrs Faraday sich entschieden hatte, ein Mädchen bei sich aufzunehmen, trat Miss Patrick auf den Plan und legte einen Eintrag in ihrem Hausbuch an.
Diese Hausbücher – für jeden Jahrgang gab es eines – enthielten Berichte über die Führung der Schüler, wobei nur bei groben Verstößen Namen genannt wurden. Aber auch Listen von Dingen, die angeschafft wurden – und Herkunftsdaten. Sobald eine neue Schülerin eingetroffen war, schrieb sie alles, was sie über das jeweilige Mädchen wusste, nieder. Rose musste ihr ziemlich ausführlich berichtet haben, denn es steht sehr viel auf ihrer Seite.«
»Und warum haben Ihre Vorgänger das nicht beachtet?«, fragte Ellen, nachdem sie einen Schluck Wein getrunken hatte.
»Weil sie glaubten, diese Bücher seien nichts anderes als Jahrbücher voller Kostenaufrechnungen und erbaulichen Geschichten, die Miss Patrick tatsächlich dort niedergeschrieben hat. Dabei entging ihnen nicht nur, dass diese erbaulichen Geschichten größtenteils von den Mädchen selbst stammten, sie bemerkten auch nicht die fein gestalteten Datenblätter zwischen all den anderen Dingen.«
»Dann spannen Sie uns nicht länger auf die Folter, was haben Sie gefunden?«
Gabriel zog einen kleinen Briefumschlag aus der Tasche, in der, wie Lilly vermutete, wieder ein paar Kopien steckten. Diese zog er allerdings nicht hervor, sondern antwortete: »Dass Rose Gallway aus Sumatra stammte, wussten wir bereits, auch kannten wir ihr Geburtsdatum, den 9. Mai 1880. Doch schon bei ihren Eltern erwartet uns eine kleine Sensation.« Jetzt zog er doch eine der Kopien aus dem Umschlag. »Ihre Mutter trug den Vornamen Adit und stammte aus dem Dorf Magek – während ihr Vater Engländer war.«
»Was man ihr aber gar nicht so richtig ansieht«, entgegnete Lilly nickend. »Sie wirkt eher ein bisschen wie eine Italienerin oder Spanierin.«
»Die Augen sind ein bisschen exotisch«, setzte Ellen hinzu und tippte auf die Kopie mit der noch sehr jungen Rose. »Das sieht man besonders auf diesem Bild.«
Gabriel nickte. »Da haben Sie recht, aber der Einschlag ist recht gering, auch Europäerinnen haben manchmal Katzenaugen und
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