Der Mondscheingarten
hat, gestorben sein.«
»Und warum hatte Carmichael den Brief in seinem Besitz?«
Ein Lächeln schlich sich auf Thorntons Gesicht. »Wie wäre es, wenn wir das bei einem Kaffee besprechen? Ein bisschen Zeit bleibt doch noch bis zum Flug, oder?«
Jetzt musste auch Lilly lächeln. Er hatte den Weg hierher gemacht, um ihr den Brief zu zeigen. Und das, kurz bevor sie nach Sumatra reiste!
»Natürlich, sogar noch ziemlich viel Zeit. Ich war zu früh dran.«
»Na gut, dann kommen Sie mit. Ich weiß, wo man schnell Kaffee bekommt und noch ein bisschen reden kann.«
Mit einem Becher heißem Kaffee saßen sie schließlich vor einem Schnellrestaurant, das zum Food Court des Flughafens gehörte.
»Also, was sind Ihre Theorien dazu?«, fragte Lilly, nachdem sie einen Schluck von dem höllisch heißen und höllisch faden Getränk genommen hatte.
»Nun.« Gabriel atmete tief durch, als bereite er sich auf einen langen Vortrag vor. »Es gibt da mehrere Möglichkeiten. Zum einen könnte Rose Carmichael den Brief übergeben haben, um ihn zu bitten, die Nachricht weiterzuleiten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er die Nachricht überbracht hat. Dann hat Havenden sie entweder abgelehnt oder Carmichael erst gar nicht vorgelassen.«
»Meinen Sie nicht, dass das ein wenig schäbig wäre? Eine Frau schwängern und dann einfach sitzen lassen?«
»Tja, so war die englische Aristokratie. Aber ich habe beschlossen, Havenden nicht vorzuverurteilen. Adlige dieser Zeit waren gefangen in Zwängen, teilweise ist das auch heute noch der Fall. Die Ehe hätte arrangiert sein können, das ist auch Anfang des letzten Jahrhunderts noch häufig vorgekommen. Vielleicht hat er Rose wirklich geliebt. Und möglicherweise hat er etwas für seine Tochter tun wollen, vielleicht hat er es ja auch getan. Ob das stimmt, können wir nur herausfinden, wenn wir wissen, wie diese Tochter hieß.«
»Und warum hat Carmichael den Brief dann behalten?«
»Das ist eine gute Frage. Zum einen könnte Havenden Roses Bitte abgelehnt haben. Außerdem … könnte die Bitte zwar bei Havenden angekommen sein, er den Brief aber zurückgegeben haben, damit ihn niemand Unbefugtes findet.«
»Aber damit hätte er sich gegenüber Carmichael erpressbar gemacht. Wenn er Rose als Agent vertrat, hatte er sicher keine gute Meinung von ihm, immerhin hat er sein Goldkind geschwängert.«
»Vielleicht hat Carmichael Havenden auch erpresst, wer weiß. Die dritte Möglichkeit wäre, dass der Agent den Brief behalten und gar nicht erst abgegeben hat.«
»Warum sollte er so was tun? Immerhin bittet Rose bei ihrem früheren Geliebten um Hilfe. Und ich sehe es sicher nicht falsch, dass Havenden sich ruhig um seine Tochter hätte kümmern können.«
»Das stimmt, das hätte er tun können. Ich werde jetzt in zwei Richtungen ermitteln – zum einen werde ich den Nachfahren Carmichaels noch einmal einen Besuch abstatten und sie bitten, ein wenig in ihrer Familiengeschichte herumzustochern. Und dann werde ich versuchen, die Nachfahren dieses Havenden ausfindig zu machen. Wie Sie gelesen haben, hatte er eine Verlobte oder Frau, auf jeden Fall eine Partnerin, und Roses Vermutung, dass er mit ihr Kinder hatte, könnte sich ja bewahrheiten.«
»Die Erben werden sicher alles andere als begeistert sein, von dem unehelichen Kind zu hören.«
»Nun, wie man es nimmt. Uneheliche Kinder gehören von jeher in einigen Adelsfamilien zum Alltag. Und es ist ja auch schon eine halbe Ewigkeit her. Wenn das Kind irgendwann zwischen 1902 und 1909 geboren wurde, ist es jetzt bestimmt schon tot.«
»Wie kommen Sie gerade auf den Zeitraum?«
»Bis 1902 ist das Leben von Rose gut dokumentiert, danach gibt es ein paar Lücken wie eine sechsmonatige Pause, in der nicht klar war, wo sie sich befand. Vielleicht ist diese Pause Zufall, vielleicht hat sie da aber auch das Kind bekommen.«
Lilly nickte, dann kam ihr eine Idee. »Aber Roses Kind könnte doch selbst Kinder bekommen haben. Und es könnte Enkel geben, die dem Gesetz nach Anspruch auf ihr Erbe haben. Ich kenne mich da zwar nicht aus, kann mir aber vorstellen, dass ein Gentest immer noch eine Verwandtschaft nachweisen könnte. Diese Leute wären dann die rechtmäßigen Besitzer der Geige!«
»Immer langsam, Lilly, bedenken Sie, dass es da noch eine zweite Figur in unserem Spiel gibt: Helen. Sie war die letzte Besitzerin der Geige. Eher wären es ihre Nachfahren, die Anspruch darauf hätten. Ich betone aber, hätten, denn deren
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