Der Mondscheingarten
sie machte im letzten Moment einen Rückzieher. »Ich glaube nicht, dass ich schon wieder …«
Erneut hätte sie beinahe das Falsche gesagt. Natürlich fühlte sie sich noch nicht reif für eine neue Beziehung, aber wenn sie ihm das sagte, würde er vielleicht alle Hoffnungen, die er hegte, sausen lassen.
»Ich glaube, ich verstehe schon, was Sie meinen«, entgegnete Gabriel, worauf Lilly nur einfiel: Bitte nicht! Er soll es nicht so verstehen! »Und ich werde geduldig warten, bis Sie wieder da sind. Sie haben mir noch gar nicht gesagt, wie lange Sie verreisen wollen.«
»Oh, es ist nur eine Woche.«
»Wirklich? Ich dachte, Sie verschwinden jetzt für einen Monat.«
»Nein, nur ein paar Tage. Aber für die Spurensuche reicht es hoffentlich. Sie haben nicht zufällig einen Bekannten dort, der mich ein wenig herumführen könnte?«
»Nein, den habe ich leider nicht. Und selbst wenn, würde ich Sie darauf hinweisen, dass Sie den Auftrag haben, die Sache allein über die Bühne zu bringen. Selbst wenn es alles vollkommen ätzend wird, an diese Woche werden Sie sich erinnern. Und wer weiß, was sie alles bringt.«
Bis Ellen von der Arbeit zurückkehrte, hatte Lilly schon ein wenig mehr Selbstvertrauen gewonnen. Zwar glaubte sie zwischendurch noch immer, sich in einem Traum zu befinden, doch als ihre Freundin sich nach dem Essen mit einem breiten Lächeln zu ihr setzte, brach auch der letzte Zweifel weg, und sie sah ein, dass sie in knapp zwei Tagen in einem Flugzeug in Richtung Jakarta sitzen würde.
»Es ist nur schade, dass ich dich nicht mitnehmen kann«, sagte sie ein wenig bedauernd.
»Keine Sorge, Dean wird mir die Zeit schon versüßen«, entgegnete Ellen schulterzuckend und warf ihrem Mann, der es diesmal pünktlich zum Abendessen geschafft hatte, einen liebevollen Blick zu.
»Daran habe ich keinen Zweifel, aber …«
»Das ist deine Reise, Lilly«, entgegnete Ellen, während sie über den Tisch langte und ihre Hände streichelte. »Wenn es dort so schön ist, wie die Bilder im Internet versprechen, machen wir die Reise irgendwann noch einmal zusammen.«
»Oder ich mache eine zweite Hochzeitsreise mit dir dorthin«, setzte Dean hinzu.
»Hatten wir denn überhaupt schon eine richtige Hochzeitsreise?«, fragte Ellen lachend.
»Natürlich. Damals, nach Schottland?«
»O Gott!«, stöhnte Ellen auf. Lilly verkniff sich ein Grinsen. Selbstverständlich kannte auch sie die Geschichte von der verkorksten Reise.
»Du und ich in einem Zelt«, rekapitulierte Dean. »Du musst zugeben, das war doch romantisch.«
»Das war romantisch, bis der Sturzregen kam. Wir haben uns den Allerwertesten abgefroren.«
Jessi und Norma kicherten leise in sich hinein. Wahrscheinlich gebrauchte an ihrer Schule niemand mehr diesen Begriff.
»Aber wir haben dann diese Burg gefunden.«
»Du meinst, diese Burg-Ruine!« Ellen schenkte ihrem Mann ein liebevolles Lächeln. »Aber ja, es war romantisch. Solange ich dich bei mir hatte, war es romantisch. Und das gilt auch noch heute.«
Lilly lächelte, doch im Inneren fühlte sie sich sonderbar. Wieder dachte sie an Peter, aber nun war der Schmerz nicht mehr so schneidend. Und wenn sie sich vorstellte, dass vielleicht Gabriel mit ihr nach Schottland fahren würde … Da könnte es wahrscheinlich stürmen und hageln, ohne dass sie sich beschwerte.
»Aber jetzt sind wir erst einmal gespannt, was du berichtest«, riss Dean sie aus ihrem Nachdenken fort.
»Die Dame vom Reisebüro sagte, dass das Hotel sehr komfortabel und ziemlich alt sei, vielleicht waren Rose oder Helen sogar mal dort«, setzte Ellen hinzu. »Sicher gibt es dort Museen und Archive, und du kannst gut genug Englisch, um dich verständlich zu machen. Außerdem bist du eine erwachsene Frau, und wie mir das Reisebüro versicherte, ist Indonesien gerade kein ausgewiesenes Krisengebiet. Du kannst also fahren und suchen, und wenn du nichts findest, dann genieß das ferne Land.«
Lilly war nicht sicher, ob ihr das gelingen würde, aber das würde sie ja sehen. Beinahe war es wieder so wie kurz nach dem Augenblick, als die Trauer um Peter auf ein erträgliches Maß zurückgegangen war: Der Weg vor ihr war unklar, was geschehen würde, vollkommen offen. Damals hatte sie sich nach innen gewandt, hatte ihren Mut verloren und sich eingeschlossen, um ja nicht wieder durch einen Verlust verletzt zu werden. Nun würde sie den Schritt nach außen wagen und so verletzlich sein, wie sie nur sein konnte. Aber vielleicht war ja das
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