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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Mutter sagte: »Du hast anscheinend recht, es gibt Dinge, die bleiben nicht ewig verborgen.«
    Wieder diese stummen Blicke, dann legte er das Instrument in den Koffer zurück.
    »Wie hast du denn gelernt, die Geige zu spielen?«
    »Ich hab es mir selbst beigebracht.«
    Das stimmte natürlich nicht so ganz, aber wenn sie die Wahrheit gesagt hätte, hätte sie die Frau verraten.
    »Du bist ein ganz besonderes Mädchen, Helen.« Ihr Vater schloss den Koffer und nahm seine Tochter dann in seine Arme.
    »Und was wird jetzt mit der Geige?« Am liebsten hätte Helen den Koffer gleich wieder an sich gerissen.
    »Solange sie niemand zurückfordert, kannst du sie behalten«, antwortete der Vater nach kurzer Überlegung. »Aber du wirst verstehen, dass ich mich umhören werde, ob die Geige irgendwo gestohlen wurde. Nicht, dass jetzt jemand sehr traurig ist, weil er sein Instrument vermisst, nicht wahr?«
    Helen nickte lächelnd, denn sie wusste, dass die fremde Frau die Geige nicht zurückfordern würde.
    Die Frage, woher die Geige stammte, stellte ihre Mutter ­Helen noch öfter, doch nie erhielt sie eine Antwort darauf. Helen war sicher, dass das Erdbeben eine Warnung gewesen war. Wenn sie noch mehr von ihrem Geheimnis preisgab, würde ihnen vielleicht noch viel Schlimmeres passieren. Das wollte sie auf keinen Fall.
    Nachdem die Unordnung des Erdbebens beseitigt war, wurde der Musikunterricht mit Miss Hadeland wieder aufgenommen. Zunächst war diese gar nicht begeistert, dass Helen das Klavierspiel aufgeben und stattdessen Geige üben wollte.
    »Die Geige ist ein Instrument für Zigeuner!«, beschwerte sie sich bei Ivy Carter. »Das Klavier ist eher etwas für eine junge Dame, die in der Gesellschaft geachtet sein möchte.«
    »Allerdings haben Sie selbst gesagt, dass Helen auf dem Klavier keine nennenswerten Fortschritte macht. Möglicherweise hat sie sich beim Spielen gelangweilt oder …« Sie hob die Hand und brachte Miss Hadeland, die schon protestieren wollte, zum Schweigen. »Oder das Klavier ist einfach nicht ihr Instrument. Vielleicht sollten Sie mal hören, wie sie die Geige spielt, dann ändern Sie bestimmt Ihre Meinung.«
    Helen, die das Gespräch von einem Stuhl neben der Tür aus verfolgt hatte, erhob sich nun, als hätte ihre Mutter ihr ein unsichtbares Kommando gegeben.
    Bedächtig entnahm sie die Geige dem Koffer und bat sie im Stillen, nicht wieder ein Erdbeben zu verursachen, denn sie wollte ja jetzt richtig spielen lernen, und das war es doch, was die Fremde von ihr gewollt hatte. Dass sie spielte.
    Als sie den Bogen ansetzte, verzog Miss Hadeland ihr Gesicht. »Wie hält sie denn die Geige? Beim Spielen muss man gerade stehen!«
    »Lassen Sie es Helen erst einmal allein versuchen«, sagte Ivy, und obwohl ihre Stimme sanft klang, lag in ihr eine ­unausgesprochene Drohung, die die Musiklehrerin davon abbrachte, weiter an Helen herumzukritisieren. Mit verkniffenem Mund lehnte sie sich aufrecht gegen die Stuhllehne, und ihr Blick verriet, dass sie Helen keinen einzigen klaren Ton auf der Geige zutraute.
    Helen, die fest entschlossen war, ihr zu zeigen, dass sie durchaus spielen konnte, setzte entschlossen den Bogen an.
    Während die ersten Klänge durch das Musikzimmer hallten, stellte sie aus dem Augenwinkel heraus fest, dass Miss Hadelands Miene vollkommen anders wurde. Ihr überheb­licher Blick verschwand, ihr Mund klappte auf, als würde sie Zeugin eines Wunders werden. Das gab Helen die Zuversicht, dass sie richtig spielte, und so legte sie sich weiter ins Zeug, wobei ihr Herzschlag den Takt vorzugeben schien.
    Als sie fertig war, fühlte sie sich, als wäre sie schwerelos. Keuchend setzte sie die Geige ab, spürte, wie Schweiß ihren Körper kühlte und dass ihr Verstand vollkommen klar war, als wäre frischer Wind durch ein Fenster geweht und hätte den Muff vertrieben.
    Minutenlang herrschte Stille. Ivy Carter blickte erwartungsvoll zwischen ihrer Tochter und der Musiklehrerin hin und her. Helen richtete ihren Blick bang auf Miss Hadeland. Deren Blick gefiel ihr nicht.
    »Was ist denn, Miss Hadeland?«, fragte Helen ein bisschen ängstlich. Ihrer Meinung nach hatte sie gut gespielt, ihre fremde Freundin wäre sicher zufrieden gewesen. Doch die Augen der Musiklehrerin blieben noch eine ganze Weile auf die Geige in ihrer Hand gerichtet.
    »Nichts, es ist nichts«, presste sie schließlich heraus. »Es war ein schöner Vortrag.«
    »Dann glauben Sie also, dass es sich lohnen würde, sie zu

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