Der Mondscheingarten
Tüchern.
Nach etwa einer halben Stunde war endlich ein Tisch für sie frei.
»Glauben Sie mir, das Warten hat sich gelohnt«, sagte Verheugen, während sie sich auf die Sitzkissen niederließen, die auf breiten Rattanmatten lagen. Dazwischen stand ein niedriger Tisch mit hübschen Intarsien. Der Kellner erschien kaum einen Moment später mit den Speisekarten, die in dickes Leder eingebunden waren. Die Karten waren teils in Malaiisch und teils in Niederländisch verfasst. Hin und wieder gab es auch eine englische Übersetzung, die allerdings ziemlich schlecht war.
»Was bedeutet das hier?« Lilly deutete auf eine Zeile der Karte.
»Oh, das ist Kaffee aus der Katze!«
»Kaffee aus der Katze?«
»Die Kaffeebohnen werden von einer bestimmten Sorte Schleichkatze gefressen und wieder ausgeschieden. Aus den so fermentierten Bohnen macht man Kaffee, der sehr sehr teuer ist. Für den Preis einer Tasse können Sie hier schon eine ganze Mahlzeit bekommen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Kaffee wollte, der …« Lilly schüttelte sich.
Verheugen lachte auf. »Das ist eine Delikatesse! Hier im Land wird sie sehr geschätzt, und Liebhaber in aller Welt ordern die teuren Bohnen.«
»Die von einer Schleichkatze ausgeschieden wurden.«
»Ich sehe schon, wir sollten bei Tuak bleiben.«
»Solange das nicht auch aus einem Tier stammt.«
»Nein, Tuak ist so was wie die Vorstufe vom Arak. Er wird aus den Blüten der Zuckerpalme gewonnen und enthält nur sehr wenig Alkohol.«
»Klingt akzeptabel.«
»Ist es auch. Also dann wollen wir mal!« Aus dem Augenwinkel heraus hatte er bereits den Kellner bemerkt, der flink auf ihren Tisch zusteuerte.
Verheugen bestellte, während Lilly ihn beeindruckt musterte. »Ich habe zwar keine Ahnung davon, aber Ihr Malaiisch ist offenbar wirklich gut.«
»Wenn man Verbindungen wie die meinen zu diesem Land hat, ist man auch gewillt, mit den Einheimischen zu sprechen, ohne sie an die Geschichten zu erinnern, die ihre Großeltern von den Niederländern erzählen. Da gibt es sicher noch einige, die nicht besonders gut auf uns zu sprechen sind.«
Lilly musste ihn fragend angesehen haben, denn er sagte nun: »Indonesien hat eine ziemlich wechselvolle Geschichte. Sie haben vielleicht schon etwas über die Kolonialherrschaft und die VOC gehört?«
»Sie meinen die Ostindienkompanie?«
»Ja, ein Verbund niederländischer Handelsleute und Seefahrer. Es ist ein sehr weitreichendes Thema, und zuweilen auch ein blutiges. Einige Gouverneure von Sumatra und Bali waren so grausam, dass das Königshaus einschritt und den Vertretern der VOC befahl, sich zu mäßigen. Als die VOC im Jahr 1799 zerbrach, milderte sich das Klima, die Grausamkeiten wurden weniger. Dennoch wurden allmählich Stimmen gegen die Kolonialisten laut. In den Zwanzigerjahren setzte sich eine Unabhängigkeitsbewegung für die Befreiung von den Niederländern ein. Im Zweiten Weltkrieg wurde Indonesien kurzfristig von Japan erobert, die Kolonialherrschaft endete damit.«
»Bei all dem Wissen, das Sie haben, würden Sie auch einen guten Historiker abgeben.«
»Vielleicht werde ich das noch, wenn ich mich eines Tages zur Ruhe gesetzt habe. Oder ich werde Reiseschriftsteller und berichte über meine Touren durch das Land. Wenn es erst mal so weit ist, glaube ich nicht, dass ich in die Niederlande zurückkehren möchte.«
Angesichts dessen, was sie bisher von Sumatra gesehen hatte, konnte Lilly das verstehen.
Den ganzen Abend über erzählte ihr der Zahnarzt vom Alltag in diesem Land, ein wenig auch von seiner Praxis, aber die schien ihm nicht so wichtig zu sein wie Indonesien. Ein wenig fragte sich Lilly, ob die Person, die er hier treffen wollte, nicht vielleicht eine Frau war. Verheugen war ein attraktiver Mann und hatte Humor. So, wie er von Sumatra und seinen Bräuchen sprach, merkte man es ihm an, dass seine Verbindung zu dem Land durch mehr als nur die Liebe zu der Natur und den Menschen genährt wurde. Es musste eine persönliche Bindung geben. Und auch wenn sie sich sagte, dass es sie nichts anging, interessierte es sie schon, wie die Frau aussehen würde, mit der er sich hier vielleicht treffen wollte. War es eine schöne Einheimische wie Roses Mutter? Sie hatte für sich beschlossen, dass sie ihre gerühmte Schönheit vor allem ihrer Mutter zu verdanken hatte.
»Ich hoffe, das Essen war nicht zu scharf«, sagte der Zahnarzt, während die Nachtluft sie umfing. Obwohl sie noch immer recht warm war, fröstelte Lilly ein
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