Der Mondscheingarten
Junge einen Herzfehler gehabt, den er wohl aus der Familie des Vaters geerbt haben musste, denn Johan hatte zwei Schwestern, die ebenfalls an Herzfehlern gestorben waren.
Dann überkam mich plötzlich eine seltsame Schwäche. Man führte es zunächst auf die Melancholie zurück, die ich als trauernde Mutter fühlte. Doch als ich eines Tages am Fuß der Treppe zusammenbrach, holte Johan den Arzt, und der setzte sich mit ernster Miene vor mich.
»Mevrouw de Vries, ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten für Sie. Ihr Herz hat durch das Kindbettfieber wohl einen massiven Schaden erlitten. Auf jeden Fall werden Sie sich in der kommenden Zeit sehr schonen müssen, ansonsten fürchte ich …«
Die Worte vertrockneten ihm in der Kehle, aber ich wusste, was er sagen wollte. Wenn ich mich nicht schonte, würde ich sterben. Mit gerade mal neunundzwanzig Lebensjahren!
Als Johan nach dem Arztbesuch zu mir kam, nahm er mich wortlos in seine Arme. Ich spürte, wie viel Liebe in dieser Berührung lag, spürte, wie viel Verzweiflung seine Tränen enthielten, doch ich selbst fühlte nichts.
Ich war mir nur sicher, dass nicht das Kindbettfieber mein Herz geschädigt hatte, nein, vielmehr hatte der Verlust meiner beiden Kinder es entzweigebrochen, und ich spürte, dass wenn ich nicht wenigstens meine Tochter wiederfinden, ich nach meinem Tod der ewigen Verdammnis anheimfallen würde.
13. Februar 1910
Heute nun ist der Tag gekommen. Ich treffe mich mit dem Detektiv. Ich bin ganz furchtbar nervös, etwas, wovor mich mein Arzt gewarnt hat, denn mein schwaches Herz verträgt keine Aufregung mehr, und jederzeit könnte die marode Ader platzen. Ich will nicht hoffen, dass Gott so grausam ist und mir das Leben nimmt, bevor ich erfahre, wo sich mein Mädchen aufhält. Sicher, ich habe mich versündigt, aber jeder Mensch hat doch Vergebung verdient, oder?
Später am Tag …
Ich kann kaum beschreiben, was ich gefühlt habe, als ich vor der Detektei stand. Mein rascher Herzschlag hatte mir den Atem genommen, und ich konnte zunächst keinen Schritt weit über die Straße. Mein Leib zitterte von oben bis unten, einige besorgte Passanten erkundigten sich, ob mir nicht wohl sei. Ich schickte sie mit der Erklärung weg, dass mir das heiße Klima nicht gut bekommen würde, was sie nicht sonderlich verwunderte, denn ich gehe ja gut als Engländerin durch. (Pauls Verlobte hatte sich andauernd über die Hitze beklagt.) Schließlich schaffte ich es, das Haus zu betreten, in dem Cooper Swanson arbeitete. Neben seiner Unattraktivität hat er auch eine ziemlich zweifelhafte Vergangenheit, die Gerüchte, die über ihn im Umlauf sind, besagen, dass er früher einmal in Indien in der englischen Armee gedient hat, von dort allerdings fliehen musste, nachdem er einen Kameraden im Streit erschlagen hatte. Eine andere Version besagt, dass er sich mit chinesischen Banditen zusammengetan hat, um in Indien englische Villen auszurauben. Welche Version auch stimmt und ob vielleicht beide ausgedacht sind, interessiert mich nicht. Ich wollte nur eines: eine Antwort auf die Frage, die ich ihm vor Wochen gestellt habe.
Er empfing mich mit sorgenvollem Blick, wahrscheinlich hatten sich meine Lippen wieder blau verfärbt, wie sie es immer taten, wenn ich großer Anstrengung ausgesetzt wurde.
»Ihr Anliegen war wirklich eine ziemlich große Herausforderung für mich, Mrs de Vries«, begann er, während er sich auf den alten Lederstuhl hinter dem Schreibtisch niederließ. »Aber ich habe positive Nachrichten für Sie.« Damit schob er eine schmale schwarze Mappe über den Tisch. Zaghaft öffnete ich sie, wappnete mich innerlich gegen das Unbekannte und war dennoch nicht gefasst darauf, was ich nun zu sehen bekam.
Die Fotoplatte zeigte ein Mädchen, gerade mal acht Jahre alt und meinem eigenen Spiegelbild aus früheren Zeiten so ähnlich, dass ich nicht anders konnte, als erschrocken nach Luft zu schnappen. Kein Zweifel, das war das Kind, dessen Gesicht ich vor so langer Zeit an meiner Brust gesehen habe!
»Ich musste ein paar Leute bestechen, aber dieser Einsatz hat sich gelohnt«, bemerkte Swanson selbstgefällig, denn er spürte genau, dass ich seine Aufgabe als erfüllt ansah. »Das Mädchen befindet sich in der Obhut von James und Ivy Carter, einer sehr angesehenen Familie in Padang. Die Adresse finden Sie unter der Fotoplatte. Sie können sich ja überlegen, ob Sie einen weiteren … Service von mir in Anspruch nehmen wollen. Die Sicherheitsvorkehrungen
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