Der Mondscheingarten
Verständnis für mich zu haben.
Das Nebengelass von Wellkom hätte für mich dennoch ein Ort der Ruhe und Entspannung werden können. Der traumhafte Garten hätte meine Seele kräftigen können, mir das Vertrauen schenken können, dass ich es mit dem Kind schaffen würde. Dass ich, trotz aller Schande, meinen Weg zurückfinden würde.
Doch meine Zuversicht schwand zusehends. Als der Geburtstermin nahte, weinte ich fast jeden Tag und wünschte mir, dass das Ding in meinem Bauch endlich heraus wäre, ja manchmal bereute ich es, dass ich mich damals nicht für die Engelmacherin entschieden hatte.
Carmichael sah meine Verzweiflung und fühlte sich gezwungen, zu handeln, ohne vorher um meine Erlaubnis zu fragen.
»Van Swieten bietet dir an, das Kind in eine sehr angesehene Familie hier in Padang zu geben«, eröffnete er mir eines Tages. »Sie würden es aufziehen, und du könntest weiterhin deiner Karriere nachgehen.«
Die Worte glitten über mich hinweg wie ein schneidender Wind. Ich fühlte jedoch keine Bestürzung.
»Ist Post gekommen?«, fragte ich nur, als hätte ich ihn nicht gehört, als hätte ich den Verstand verloren.
In Wirklichkeit versuchte ich, eine Entscheidung zu treffen.
»Nein«, antwortete Carmichael tonlos und fast schon ein wenig mitleidig. »Keine Post.«
Mein Agent trug mir das Angebot des Gouverneurs noch drei Mal vor, bevor ich eines Morgens realisierte, dass Paul nicht kommen würde. Beinahe neun Monate hätte er Zeit gehabt, mich zu besuchen, auch ohne meinen Brief hätte die Zeitspanne gereicht, um wieder zurückzukehren. Oder zumindest eine Nachricht zu schicken, in der er mir versicherte, dass alles gut werden würde. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, einen Boten zu dem Plantagenbesitzer zu schicken und nachfragen zu lassen, ob das Geschäft zwischen ihm und Paul zustande gekommen war. Aber was war, wenn man mir dann mitteilte, dass er und seine reizende Gemahlin gerade zu Besuch dort weilten und sich prächtig amüsierten?
Ich ließ Carmichael dem Gouverneur Bescheid geben, dass ich einverstanden war.
Die Geburt selbst war eine der schrecklichsten Erfahrungen, die ich jemals machen musste. Stundenlang lag ich mit schmerzendem Leib da und betete nur um Erlösung. Im Nachhinein bin ich froh, dass die Erinnerung viele Details dieses Ereignisses verschluckt hat. Ich erinnere mich nur noch an den Moment, als das Kind aus mir herausglitt und ich daraufhin eine wunderbare Erleichterung verspürte. Die einheimische Hebamme, die offenbar nicht eingeweiht war in das Arrangement, legte mir das schreiende Kind auf die Brust, nahm es aber rasch wieder herunter, als der Arzt ihr irgendwas zuraunte, das ich nicht verstand.
Doch dieser Moment hatte gereicht. Ich hatte das zarte Gesicht gesehen, das Gesicht, dem man noch keine rechte Verwandtschaft zuordnen konnte, das aber dennoch wunderschön war. Und ich hatte auch gesehen, dass es ein Mädchen war. Ich hatte eine kleine Tochter!
Doch es war zu spät, um noch umzukehren. Das Kind war einer anderen Familie versprochen worden, und die Geburt hatte mich derart geschwächt, dass ich nicht dagegen aufbegehren konnte. Man brachte es weg, und mir blieb nichts anderes als die Erinnerung an die Geburt und eine Woche in tiefster Umnachtung und mit vielen Tränen, die eine Narbe in mir hinterließ, ja die mir vielleicht sogar das Herz brach.
Obwohl es für Aufsehen sorgte, dass ich so lange von der Bühne verschwand, praktisch von einem Tag auf den anderen, verzieh mir mein Publikum meine Abwesenheit und begrüßte mich, frisch genesen aus dem Wochenbett, wieder im Rampenlicht. Eigentlich hätte ich es genießen sollen, wieder die bewunderte Musikerin zu sein. Doch ich konnte mich über den Applaus nicht freuen, denn ich war der festen Ansicht, dass ich ihn nicht verdient hatte.
Carmichael war es jedoch egal. Er organisierte mir Konzert um Konzert, die Hallen wurden kleiner, das Interesse der Menschen weniger, aber ich spielte. Spielte ohne Seele, spielte, nur um mein schlechtes Gewissen zu betäuben. Abends nach den Auftritten starrte mich dann eine leere Hülle aus dem Spiegel an, und in der Nacht plagten mich Alpträume, in denen ich ein blutverschmiertes Kindergesicht sah, das mir vorwarf, es verkauft zu haben.
Aber am Morgen setzte ich wieder meine Maske auf, und nach einer Weile gewöhnte ich mich so sehr an sie, dass ich glaubte, wieder die alte Rose zu sein, jene, die nur für die Musik lebte. Äußerlich mochte mir das gelingen, aber
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