Der Mondscheingarten
lange nicht mehr. Was für eine Geschichte! Gabriel würde begeistert sein, wenn er das Heft in die Hände bekam. Und sie hatte nun einen Anhaltspunkt! Rose Gallway war verschwunden, weil sie nicht mehr Rose Gallway hieß, sondern Rose de Vries. Vielleicht würde Lilly diesen Namen irgendwo finden. Immerhin war sie die Frau eines Plantagenbesitzers, und wenn sie gestorben war, hatte es gewiss auch jemand erfahren.
Da sie nun einen halben Tag verloren hatte, beeilte sie sich, unter die Dusche zu kommen, und nahm sich vor, sich als Nächstes bei Verheugen zu melden, um ihm von dem Tagebuch zu erzählen.
Unten an der Hotelrezeption erwartete sie eine Nachricht von ihm.
Sicher sind Sie nach unserer gestrigen Tour erledigt, dennoch würde ich mich freuen, wenn Sie heute Abend an einer kleinen Feier teilnehmen würden. Die Person, von der ich Ihnen erzählt habe, ist endlich zurück, und ich würde sie Ihnen sehr gern vorstellen. Herzliche Grüße D. V.
Seine Freundin ist zurück, ging es Lilly durch den Kopf, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie freute sich ehrlich darauf, diese Frau kennenzulernen.
Da ihre Ehrlichkeit doch über die Selbstsucht siegte, begab sie sich mit dem Heftchen zu einer Art Copyshop, den sie nicht weit vom Hotel entfernt fand. Das Heft selbst brachte sie dann zum Museum, wo sie es der erstaunt dreinblickenden stellvertretenden Museumsleiterin überreichte.
»Das hier ist ein wertvolles Dokument, es kann sein, dass die Faraday School of Music auf Sie zurückkommt, um es zu erwerben.«
Iza Navis lächelte mild, dann gab sie ihr das Heftchen zurück. »Dann überreichen Sie es dieser Schule mit meinen besten Wünschen. Es macht mich stolz, dass eine Tochter unseres Landes Verbindungen nach England hat, und vielleicht ergibt sich ja eine Zusammenarbeit.«
»Das ist sehr großzügig, vielen Dank«, entgegnete Lilly verblüfft. Gleichzeitig kam ihr eine Idee. »Könnte ich vielleicht einen Blick in Zeitungen und Sterberegister zwischen 1909 und 1915 werfen? Das Heftchen hat mir einen neuen Anhaltspunkt für meine Suche geliefert.«
»Natürlich, ich lasse Ihnen die Dokumente heraussuchen«, antwortete die stellvertretende Museumsleiterin und begleitete Lilly dann noch bis zur Tür des Leseraumes.
Die Masse an Papier, die ihr ein Gehilfe auf den Tisch legte, überforderte Lilly zunächst ein wenig, doch dann erwachte der Ehrgeiz in ihr. Sie hatte das Gefühl, dass ihr zu Roses Geheimnis nur noch ein Puzzleteil fehlte. Vielleicht befand es sich ja zwischen den vielen Seiten.
Während sie blätterte, ging ihr auch immer wieder Helen durch den Sinn. Ob sie jemals erfahren hatte, wer ihre Mutter war? Im Tagebuch hatte nicht gestanden, ob sich Rose ihr offenbart hatte.
Lilly konnte sich vorstellen, in welch tiefe Verwirrung diese Nachricht sie gestürzt haben könnte …
Obwohl Lilly den Sinn der niederländischen Artikel in den Zeitungen nicht erfassen konnte, stieß sie schließlich auf ein Bild, das eigentlich für sich sprach und keine weitere Erklärung benötigte.
Aardbeving, hieß es in der Überschrift. Wahrscheinlich bedeutete das Erdbeben. Das Foto zeigte eingestürzte Häuser und umgekippte Lastkräne. Menschen blickten mit geschockten Mienen auf das Trümmermeer.
Lilly suchte nach einem Datum und fand es schließlich: 6. Juni 1910. Nur wenige Monate, nachdem Rose Helen wiedergefunden hatte.
Auf einmal überkam sie eine seltsame Unruhe. Sie überflog all die fremden Wörter, von denen einige dem Deutschen sehr ähnlich waren. Kein Name. Fieberhaft blätterte sie weiter. Suchte nach Todesanzeigen und Ähnlichem. Es gab etliche, aber keine Rose de Vries. Dann stieß sie auf eine lange Auflistung von Namen.
Eine Opferliste!
Ein furchtsames Kribbeln ging durch Lillys Magengrube. Beinahe ängstlich ließ sie den Finger über die Namen gleiten. Es waren vorwiegend niederländische und einheimische Namen, aber auch ein paar Engländer.
»O mein Gott!«, presste sie schließlich hervor und schlug die Hand vor den Mund. Da stand sie. Rose de Vries, Ehefrau von Johan de Vries.
Daraufhin musste sie sich erst einmal zurücklehnen. Rose war bei dem großen Erdbeben ums Leben gekommen! War sie da auf dem Weg zu ihrer Tochter gewesen? War Helen ihr letzter Gedanke gewesen, bevor Hausteile sie getroffen und getötet hatten?
Tränen stiegen Lilly in die Augen. Nicht nur wegen Roses tragischem Ende, auch wegen des Lebens, das sie geführt hatte. Konnte ein Mensch so viel Pech
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