Der Mondscheingarten
verschluckte und den Himmel selbst in klaren Nächten neblig orange färbte. Lilly fragte sich, ob sie bei früheren Besuchen schon bemerkt hatte, wie schön es hier draußen war.
Da durchschnitten Scheinwerfer die Dunkelheit und kamen auf das Haus zu.
»Dean kommt«, verkündete Lilly und stellte ihr Glas auf den Tisch.
Ellen band sich die Schürze ab. Kurz warf sie Lilly einen schüchternen Blick zu, als wollte sie sich vergewissern, dass es in Ordnung war, wenn sie nun glücklich ihren Mann begrüßte. Lilly lächelte ihr zu, das gleiche verschwörerische Lächeln wie damals in der Schule, wenn sie sich gegenseitig für irgendwelche Dummheiten gedeckt hatten.
Als Dean durch die Tür trat, begrüßte er Ellen gewohnt herzlich und gab ihr einen Kuss. Dann wandte er sich Lilly zu und grinste sie breit an.
»Schön, dich zu sehen, hatte schon ganz vergessen, wie du aussiehst.«
»Na, so lange ist es ja nun doch nicht her«, entgegnete Lilly, während sie sich von ihm kurz in die Arme nehmen ließ.
»Dennoch, ziemlich lange. Wäre ich eine alte Tante von dir, würde ich bemerken, wie groß du geworden bist.«
»Gut, dass du keine Tante von mir bist, denn sonst hätte ich genervt mit den Augen gerollt.«
Dean nahm sie mit ins Wohnzimmer, wo sie über dieses und jenes und vor allem über die Baubranche plauderten, bis sie zum Essen gerufen wurden. Die Tafel war schlicht, aber stilvoll gedeckt, neben dem Leuchter von Lilly stand ein Gesteck aus Kunstblumen, das täuschend echt wirkte.
»Nun erzähl uns doch, wie das mit deiner Geige passiert ist«, sagte Ellen, nachdem sie den Hauptgang abgeräumt hatten und sich über den Nachtisch hermachten.
Lilly räusperte sich, legte den Löffel beiseite und überlegte, wie sie die Geschichte für Dean und die Kinder möglichst spannend erzählen konnte. Aber dann sah sie ein, dass der Umstand, dass ein Wildfremder einem eine Geige in die Hand drückt und dann spurlos verschwindet, eigentlich schon spannend genug war. Sie begann also bei dem Nachmittag, an dem sie beinahe schon hätte schließen wollen, und endete bei dem Augenblick, als sie feststellte, dass sich der Alte in Luft aufgelöst zu haben schien.
»Klingt ja fast so, als hätte dich ein Spion verwechselt«, bemerkte Dean, der bekanntermaßen ein Faible für Geschichten um den Geheimdienst Ihrer Majestät hatte. »Hast du schon mal nachgeschaut, ob irgendwelche Plutoniumstäbe unter dem Futter sind? Oder noch andere geheime Botschaften?«
Lilly grinste breit. »Meinst du, das Notenblatt ist ein Code?«
»Warum denn nicht?«, fragte Dean zurück, als sei dies das Normalste der Welt.
»Offenbar will mein Mann eine neue Karriere als Krimischriftsteller beginnen«, bemerkte Ellen lachend.
»Na, ist das denn so abwegig? Zu allen Zeiten wurden geheime Botschaften irgendwelchen Unwissenden untergeschmuggelt, damit sie diese unauffällig an die richtige Adresse bringen.«
»Dann hätte mir der Mann aber auch sagen müssen, an welche Adresse ich die Geige liefern soll.«
»Vielleicht an Sherlock Holmes!«, warf Jessi ein. »Von dem hab ich gerade gelesen.«
»Du lässt deine Kinder Conan Doyle lesen?«, wunderte sich Lilly.
»Nein, wir haben es in der Schule gelesen«, verteidigte sich Jessi. »Eine Geschichte, in der Sherlock Holmes Geige gespielt hat.«
»Ich glaube nicht, dass ich mit der Geige Teil einer geheimen Verschwörung geworden bin. Vielmehr denke ich, dass das ein Irrtum war. Sollte der alte Mann das merken, werde ich sie ihm auf jeden Fall zurückgeben.«
»Vielleicht gibt es ja in deiner Familie ein dunkles Geheimnis«, entgegnete Dean, der sich offenbar noch immer nicht von der Agentensache abbringen lassen wollte. »Hat es vielleicht irgendwelche Musiker bei euch gegeben?«
Lilly schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste. Die einzig musikalische Person, die ich kenne, ist deine Frau. Meine Eltern und Großeltern hatten keinen Sinn dafür, zum Glück, sonst wäre ich eine riesige Enttäuschung für sie geworden.«
»Und dennoch meint ein Unbekannter, dass dir die Geige gehören würde. Seltsam.« Dean nahm einen Schluck Wein und betrachtete nachdenklich, wie die Flüssigkeit am Glas hinunterrann.
»Nun lasst Lilly doch erst mal in Ruhe«, schaltete sich Ellen schließlich ein. »Um herauszufinden, was mit dem Instrument los ist, ist sie ja hier, nicht wahr? Jessi und Norma, ihr beide habt mir noch gar nichts von der Schule erzählt. Seit wann wird dort Conan Doyle
Weitere Kostenlose Bücher